Der Stadtrat nimmt Kenntnis von dem Beschluss des Grundvertrags-Ausschusses vom 16.12.2021 zum Thema 365-Euro-Ticket VGN für Alle.
In seiner Sitzung am 16.12.2021 befasste sich der
Grundvertrags-Ausschuss mit dem Thema 365-Euro-Ticket VGN für Alle. In seinem
Beschluss wird insb. deutlich gemacht, dass unter den derzeitigen
Rahmenbedingungen die Einführung eines 365-Euro-Tickets VGN für alle nicht
konsensfähig ist.
Beschluss des Grundvertrags-Ausschusses im Wortlaut:
1.
Der
Grundvertrags-Ausschuss im VGN steht mit Blick auf den Klimaschutz und die
dafür notwendige Verkehrswende für einen konsequenten Ausbau und eine stetige
Attraktivitätssteigerung des ÖPNV-Angebots im Verbundgebiet. Dafür sind ein
Gesamtkonzept und weitere Abstimmungsprozesse erforderlich. Diese können im
Rahmen des ab 2022 geplanten Strategieprozesses VGN stattfinden.
2.
Die
Geschäftsführung der VGN GmbH wird gebeten, der Staatsregierung den Willen der
Verbundpartner zur Stärkung des ÖPNV darzulegen und die hierfür benötigte
finanzielle Unterstützung anzufragen.
3.
Die
Ergebnisse des Gutachtens zur Einführung eines 365-Euro-Tickets zeigen, dass
die Umsetzung der Tarifmaßnahme dauerhaft einen hohen finanziellen Einsatz
erfordern würde, ohne dass dabei das ÖPNV-Angebot in seiner Substanz angemessen
verbessert würde. Eine Einführung könnte nur bei einem dauerhaften,
vollständigen, dynamischen und zusätzlichen Ausgleich der Mindereinnahmen der
Verkehrsunternehmen erfolgen. Vor diesem Hintergrund ist die Einführung eines
365-Euro-Tickets für Alle in einem verbundweiten Modell zum 01.01.2023 nicht
möglich. Unter den derzeitigen Rahmenbedingungen ist eine Einführung auch nicht
konsensfähig.
Dem vorausgegangen waren ein Gutachten von civity Management Consultants (siehe Anlage), sowie die Sitzung der Gesellschafterversammlung des VGN.
Ergebnisse des
Gutachtens von civity Management Consultants
Der Gutachter entwickelte im Auftrag der VGN GmbH und des Zweckverbands VGN insgesamt sieben Tarifmodelle und betrachtete deren Nachfragepotenzial, mögliche Fahrgastgewinne und die Auswirkungen auf die Fahrgeldeinnahmen.
Die prognostizierten Mindererlöse durch die vergünstigte Jahreskarte liegen bei den unterschiedlichen Tarifmodellen zwischen 55 und 100 Mio. €. Die Mehrnachfrage wird dabei nur 4 bis 6,8 Mio. Fahrten betragen. Es stehen also Erlöseinbußen von 15 bis 27% einer Nutzungssteigerung von 1,9 bis 3,3% gegenüber. Damit stehen Kosten und Nutzen in keiner annehmbaren Relation zueinander.
Gutachten civity, Folie 67 (siehe Anlage)
Im Ergebnis kann der Modal Split-Anteil des ÖPNV im besten
Fall (Gesamtverbund-Modell) nur um 1% gesteigert werden. Und dies bei Kosten
von 99,8 Mio. €. Diese Summe müssten die Aufgabenträger jährlich den
Verkehrsunternehmen im VGN erstatten. Auf
die Stadt Fürth entfallen dabei Kosten von ca. 6 Mio. € pro Jahr. Der
Gutachter empfiehlt daher keines der Modelle umzusetzen.
Neben dem Kosten-Nutzen-Verhältnis sprechen auch folgende (VGN-spezifische) Aspekte gegen die Einführung eines der Modelle:
·
Erweiterung
des Verbundraumes (geplant Coburg, Hof, Kronach, Kulmbach, Wunsiedel und
Tirschenreuth) führt zu zusätzlichen hohen Mindererlösen
·
E-Tarif
erhält durch ein 365-Euro-Ticket eine starke Abwertung und ist nur noch für
Seltennutzer von Interesse
·
Lenkungswirkung
der Talzeitkarten (9-Uhr-Tickets) beim 365-Euro-Ticket nicht gegeben, so dass
es punktuell zu Überlastung kommen kann; eine notwendige Erhöhung der
Kapazitäten, um dem entgegenzuwirken, verschlechtert die Kosten-Nutzen-Relation
zusätzlich
Die Modelle und die dazugehörigen Ergebnisse können ausführlich der Anlage entnommen werden.
Weiterentwicklung des
ÖPNV
Der Gutachter, der auch am Wiener 365-Euro-Ticket mitarbeitete, betont, dass die Maßnahmen dort in ein Gesamtkonzept eingebunden waren. Dieses Gesamtkonzept enthielt im Voraus eine zumindest Teil-Gegenfinanzierung durch die Einführung der Dienstgeberabgabe, Preissteigerung im Gelegenheitstarif und eine umfassende Parkraumbewirtschaftung. Trotzdem stieg das jährliche Defizit erheblich an; im ersten Jahr der Reform um 52 Mio. €. Der Modal Split-Anteil des ÖPNV stieg dabei wie auch für den VGN vorausgesagt, nur um ca. 1 % an.
Wie alle Gutachten zeigt so auch Wien, dass der Preis so gut wie keine Auswirkung auf die Nutzung des ÖPNV und die Entwicklung des Bürgerverhaltens hat. Stattdessen sollte weiterhin an folgenden Aspekten gearbeitet werden, da nur diese entscheidend dafür sind, ob der ÖPNV von den Bürgern als echte Alternative gerade auch zum MIV angenommen wird:
·
Angebot
(Taktung, Haltestellenabdeckung)
·
Pünktlichkeit
& Zuverlässigkeit
·
Reisezeit
im Vergleich zu anderen Verkehrsmitteln
·
Allgemeine
Qualität der Busse (z.B. Klimaanlage, WLAN)
Diese Aspekte werden im Strategieprozess des VGN 2022
zentral sein. Es ist wichtig, dass die Partner im VGN ein konsensfähiges
Gesamtkonzept zur Weiterentwicklung des VGN erarbeiten, um den ÖPNV im gesamten
Verbundgebiet konkurrenzfähig zu machen, damit auch in Fürth der Pendlerverkehr
reduziert werden kann.
Finanzierung des ÖPNV
und alternative Maßnahmen
Im Gutachten wird ein Alternativvorschlag gemacht, wie ein Budget i.H.v. 55 - 100 Mio. € (also der Höhe der prognostizierten Mindererlöse) im ÖPNV genutzt werden kann. Der Gutachter möchte hiermit auf die Potentiale zur Nutzungssteigerung anderer Investitionen als einer Fahrpreisreduzierung aufmerksam machen. Schwerpunkt hierbei ist die Förderung sozial schwächerer Bürger*innen (flächendeckendes Sozialticket) und der Ausbau des Angebots. Beide Maßnahmen dienen laut Gutachter der Nachfragesteigerung und damit einer Nutzungssteigerung (S. 87 der Anlage).
Allerdings stehen den Haushalten der Aufgabenträger für diese Maßnahmen keine Gelder zur Verfügung. Es handelt sich um Mindererlöse, die anfallen würden, wenn ein 365-Euro-Ticket eingeführt würde. Diesen stehen keine existierenden Finanzmittel, also freie Spannen in den Haushalten gegenüber. Die Aufgabenträger und Verkehrsunternehmen bedürften daher zur Umsetzung dieser Maßnahmen einer erheblichen Förderung durch Bund und Land.
Der Stadt Fürth liegt jedoch viel an der Steigerung der Attraktivität des ÖPNV und der Unterstützung der finanziell schlechter gestellten Mitbürger*innen. Daher soll das Fürther Sozialticket weiter verbessert werden. Dem Stadtrat wird hierzu eine gesonderte Beschlussvorlage unterbreitet.
Die Kosten zur Erbringung des ÖPNV steigen immer weiter an. Dabei spielen Angebotsausweitung zur Attraktivitätssteigerung, die Umstellung der Fahrzeugflotten auf klimaneutrale Antriebe und die Personalkosten des Fahrpersonals zentrale Rollen. Gleichzeitig brechen Erlöse durch Fahrgastrückgänge weg und der Anteil der Nutzerfinanzierung wird durch Tarifsenkungen oder auch schon durch Tarifstabilität reduziert. Außerdem bricht die Querverbundfinanzierung immer stärker ein.
Gelegentlich kommt in Deutschland die Diskussion über die Finanzierung des ÖPNV auf. Dabei wird eine Beteiligung an der Finanzierung des ÖPNV durch Arbeitgeber, Bürger*innen, Fahrzeughalter*innen, Handel oder auch Immobilienbesitzer*innen diskutiert.
Gutachten civity, Folie 90 (siehe Anlage)
Die Ideen scheitern jedoch bislang an gesetzlichen
Bestimmungen, die bspw. eine Arbeitgeber- oder Bürgerabgabe verhindern, und
daran, dass niemand die steigenden Kosten tragen möchte und somit Möglichkeiten
der Drittnutzerfinanzierung auf Gegenwehr stoßen.
Klar ist jedoch, dass wenn der ÖPNV weiter ausgebaut, die Beschäftigten angemessen bezahlt und die Verkehrsmittel auf klimaneutrale Antriebe umgestellt werden sollen, dies zu höheren Kosten führt, die gedeckt werden müssen. Wenn keine zusätzlichen Mittel durch Dritte bereitgestellt werden, dann wird die Stadt Fürth als Gesellschafterin der infra fürth verkehr gmbh die Kosten zu einem großen Teil tragen müssen. Denn die infra-Gruppe kann schon jetzt die Kosten des ÖPNV nicht mehr aus dem Querverbund stemmen.
Da sich bekanntermaßen Kommunen über Gebühren, Beiträge und Steuern finanzieren, erfolgt die Kostendeckung des ÖPNV, wenn man sich nicht auf explizite ÖPNV-Finanzierungsmaßnah-men der Drittnutzerfinanzierung einigt, auch über Dritte, allerdings aus dem „Gesamttopf städtischer Haushalt“ und somit insb. aus den Steuereinnahmen. Statt dem ÖPNV also im Grunde ein eigenes Budget zu geben, lässt man ihn als Konkurrent für Gelder auftreten, die ansonsten z.B. in den Schulbau oder die Ausweitung von Betreuungsangeboten fließen könnten. Abgesehen von der Intransparenz dieser Finanzierungsweise wird so auch die Abhängigkeit des ÖPNV und seiner Entwicklung von der Haushaltslage der Kommune beibehalten.
Fazit
Es mangelt im VGN nicht an Ideen und Engagement. Allerdings erdrückt die ungeklärte Frage wie die Wünsche von Bürger*innen und Politik finanziert werden sollen, bislang größtenteils die Entwicklungsansätze. Daher befürwortet die Stadt Fürth, dass die VGN GmbH in Vertretung der VGN-Partner der Staatsregierung deutlich vermittelt, dass die Verkehrswende im VGN nicht ohne eine stärkere Beteiligung des Freistaats an der Finanzierung des ÖPNV (insb. auch an den Betriebskosten) möglich ist.
Das 365-Euro-Ticket
VGN für Alle allerdings scheitert nicht nur an der Finanzierung, sondern auch
an seiner Wirkung. Wie die Gutachter ausführen ist seine Wirkung so gering,
dass wenn eine auskömmlichere Finanzierung des ÖPNV zukünftig ermöglicht wird,
andere Maßnahmen dienlicher für die Verkehrswende sind.
Finanzierung:
Finanzielle
Auswirkungen |
jährliche
Folgelasten |
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x |
nein |
|
ja |
Gesamtkosten |
€ |
x |
nein |
|
ja |
€ |
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Veranschlagung
im Haushalt |
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x |
nein |
|
ja |
Hst.
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Budget-Nr. |
im |
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Vwhh |
|
Vmhh |
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wenn
nein, Deckungsvorschlag: |
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civity Gutachten 365-Euro-Ticket VGN für Alle