Betreff
Vorlage zum Antrag der SPD vom 22.11.2011 - Bericht über das Modell der Riedlinger Seniorengenossenschaft
Vorlage
SzA/015/2012
Art
Beschlussvorlage - AB

Die Vorlage der Verwaltung dient zur Kenntnis.

 

Die Verwaltung wird beauftragt, gemeinsam mit den Wohlfahrtsverbänden zu klären, ob der

Aufbau einer Seniorengenossenschaft für Fürth sinnvoll wäre.


Mit Antrag der SPD-Stadtratsfraktion vom 22.11.2011 wurde die Verwaltung gebeten, über das Modell der Riedlinger Seniorengenossenschaft zu berichten bzw. zu ermitteln, ob die Gründung einer solchen Genossenschaft auch für Fürth sinnvoll sei.

 

Die erste Seniorengenossenschaft wurde am 9.4.1991 in Riedlingen (Baden-Württemberg) gegründet. Sie hat die Rechtsform eines  e.V. und ist gemeinnützig. Am 1.12.2007 hatte sie 650 Mitglieder und 100 freiwillige Mitarbeiter.

 

Das Modell soll für Seniorinnen und Senioren alle erforderlichen Hilfen anbieten, damit ihre Mitglieder bis zum Lebensende in ihrem Wohnumfeld verbleiben können. Die Übersiedlung in ein Heim soll so auf Schwerstpflegefälle reduziert werden. Zusätzlich eröffnet sich den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern so die Möglichkeit, die eigene Altersvorsorge für sich aufzubessern (die Mitglieder helfen den Mitgliedern).

 

Das Prinzip ist nämlich: Wer in der Seniorengenossenschaft mitarbeitet und Mitglied wird kann frei entscheiden, ob er sich das Entgelt für die geleistete Hilfe auszahlen lässt oder dieses bei der Genossenschaft anspart. Wer anspart, kann später die Leistungen hierfür gesichert im eigenen Pflegefall wieder abrufen. Es gilt dabei der Grundsatz, wer heute 100 Stunden arbeitet und anspart, kann später auch 100 Stunden wieder abrufen.

 

 

 

Zur Situation in Riedlingen vor Gründung des Modell-Projektes:

 

In den 1990er Jahren war jeder vierte Bewohner der württembergischen Kleinstadt über 60 Jahre alt. Riedlingen ist eine Kleinstadt mit 9000 Einwohnern, davon wohnen 6300 in der Kernstadt, die übrigen in 7 kleineren eingemeindeten Orten. Die Stadt ist Mittelzentrum für ein Gebiet mit 25.000 Einwohnern. Der gesamte Raum ist wirtschaftlich schwach entwickelt. Das Gebiet ist landwirtschaftlich dominiert. Die schwierige Raumsituation führte zur Abwanderung junger Menschen in naheliegende Großstädte. Dies war der Anlass für die Gründung der Seniorengenossenschaft. Mehr als 100 -meist schon selbst betagte- Helferinnen und Helfer liefern nun täglich warmes Essen aus, vorher gab es nur tiefgefrorene Wochenrationen; sie waschen und frisieren ihre Kunden, bereiten ihnen das Frühstück, übernehmen kleine Reparaturen und bringen die Seniorinnen und Senioren zum Arzt etc.. Für jede Arbeitsstunde zahlen die Umsorgten eine Pauschale von 8,20 € an die Genossenschaft oder sie lösen eine Stundengutschrift aus jener Zeit ein, als sie noch selbst aktiv mitgeholfen haben. Denn auch die Ehrenamtlichen bekommen eine Gegenleistung: Entweder einen Stundenlohn von 6,15 € oder das Versprechen, für jede Stunde Arbeit in der Zukunft selber eine Stunde Dienstleistungen in Anspruch nehmen zu können. Das Riedlinger Modell funktioniert nun seit 15 Jahren. Diese Form der Vergütung + Zeitgutschrift hat sich als sehr positiv erwiesen. Auf dieser Abrechnungs-Basis ist es leichter, neue freiwillige Mitarbeiter zu finden. Bei denjenigen Modellen, die bis jetzt beim reinen Zeitgutschriftensystem geblieben sind zeigt sich, dass eine Entwicklung in den vergangenen Jahren kaum stattgefunden hat, einige stagnieren sogar bzw. sind gescheitert. Seniorengenossenschaften gibt es u.a. in

Baden-Württemberg (Abstatt, Asperg, Ravensburg, Riedlingen, Steinen, Uhldingen-Mühlhofen)

Bayern (München, Weilheim, Kronach)

Hessen (Dietzenbach, Langen, Offenbach).

 

Vorbereitung der Gründung der Seniorengenossenschaft in Riedlingen

 

Im Jahre 1989 wurden erste Überlegungen angestellt, wie einer solch nachteiligen Entwicklung in der Stadt begegnet werden konnte. In Gesprächen mit vorhandenen sozialen Diensten, Vertretern der Stadt, der Kirchen und politischen Parteien wurde erörtert, welche Dienste in welchem Umfang angeboten werden können und welche Lücken vorhanden sind. Es wurde darüber diskutiert, ob die vorhandenen Dienste in der Lage und bereit sind, die Lücken zu schließen.

 

Erhebung soziales Dienstleistungsangebot im Jahr 1990:

 

Für den Verwaltungsraum Riedlingen ist eine Sozialstation vorhanden. Diese wird getragen von den Kirchen und politischen Gemeinden, sie übernimmt ausschließlich pflegerische Arbeiten. Bei der Sozialstation arbeiten nur hauptamtliche Pflegekräfte. Im Jahr 1990 wurden 320 Personen durch die Sozialstation betreut.

Unter der Trägerschaft der Kirchen arbeitet eine Nachbarschaftshilfe, die in freiwilliger Dienstleistung Betreuung im hauswirtschaftlichen Bereich übernimmt. Im Jahr 1990 wurden 1089 Arbeitsstunden geleistet. Die Nachbarschaftshilfe übernimmt nur dann Aufgaben, wenn diese nicht von langer Dauer sind und nicht regelmäßig erbracht werden müssen. Eine Gewährleistung für die Erbringung der Leistung ist nicht gegeben.

Das Rote Kreuz bietet Essen auf Rädern als Tiefkühlkost an. Diese wird einmal wöchentlich in die Wohnung gebracht. Der Empfänger muss seine Speisen täglich selbst zubereiten. Es wird außerdem ein Hausnotrufsystem angeboten, das gemietet werden kann.

 

Befragung

 

Im November 1990 wurde eine Befragung bei den Vertretern dieser sozialen Dienste durchgeführt. Die Auswertung der Befragung ergab, dass für die damalige Situation gut funktionierende soziale Dienste vorhanden waren, einige in Zukunft wohl wichtige Bereiche allerdings nicht abgedeckt waren. Größere Lücken bestanden in der häuslichen Betreuung und Versorgung. Die vorhandene Nachbarschaftshilfe bot zwar solche Dienste an, sah sich

allerdings nicht in der Lage, eine umfassende und garantierte Versorgung anzubieten. Gerade dies erschien aber in Zukunft wichtig. Wegen des wachsenden Anteils älterer Menschen und der rückläufigen Zahl an Altenheimplätzen mussten Voraussetzungen geschaffen werden, um die Versorgung und Betreuung von hilfsbedürftigen Menschen in ihrer eigenen Wohnung auf Dauer und in fast jeder Lebenslage zu gewährleisten.

 

Eine nur teilweise Bedarfsdeckung war vorhanden bei:

-    Besorgungen und Einkäufe

-    Besorgung der Wäsche

-    Besucherdienste

-    Vorübergehende Betreuung nach Krankenhausaufenthalten

-    Bereitstellung von Kurzzeitpflegeplätzen

-    Versorgung bei vorübergehender Erkrankung ohne stationären Krankenhausaufenthalt

 

Folgende Leistungen waren nicht angeboten:

-    Tagespflegeplätze

-    Fahrdienste

-    Häusliche Rehabilitation

-    Psychische Betreuung

-    Sterbebegleitung

-    Neutrales Beratungsangebot für Fragen des täglichen Lebens

-    Wohnungs- und Hausreinigung

-    Versorgung mit warmem Essen

-    Gartenarbeit

-    Winterdienst

-    Handwerkliches Hilfsangebot

 

Bedarfsdeckung in der Zukunft

 

Die damals vorhandenen sozialen Dienste sahen keine Möglichkeit, den oben genannten zusätzlichen Bedarf zu decken. Deshalb wurde der Vorschlag aufgenommen, in Riedlingen eine Seniorengenossenschaft zu gründen, die die vorhandenen Lücken schließen sollte. Hauptaufgabe sollte sein, ein System des betreuten Wohnens im eigenen Heim oder in einer Wohnanlage zu schaffen. Dadurch sollte den Menschen die Möglichkeit geboten werden, auch bei Hilfsbedürftigkeit in der eigenen Wohnung bleiben zu können. Im Staatsministerium des Landes Baden-Württemberg wurde zur gleichen Zeit an diesen Themen gearbeitet. Eine dort eingesetzte Arbeitsgruppe empfahl als Lösung die Einrichtung von Selbsthilfeorganisationen nach dem Genossenschaftsprinzip. In diese sollte sich jeder Bürger einbringen können. Auf diese Weise sollte eine Betreuung und Versorgung jedes einzelnen gesichert werden. Zur Erprobung dieser Idee wurden Modellversuche eingerichtet. Die in Gründungsvorbereitung stehende Seniorengenossenschaft Riedlingen hat sich um die Aufnahme in das Modellprogramm beworben, dem Antrag wurde stattgegeben, Riedlingen wurde Landesmodell.

 

Zielsetzung der Seniorengenossenschaft für Bedarfsdeckung

 

In Abstimmung mit den anderen sozialen Diensten wurde festgelegt, dass nur solche Leistungen durch die Seniorengenossenschaft angeboten werden, die bisher nicht vorhanden sind, oder wo der Bedarf von anderen Diensten nicht voll gedeckt werden kann. Kooperationen mit anderen Diensten sollen angestrebt werden. Im Unterschied zu anderen freiwilligen Hilfsdiensten will die Seniorengenossenschaft ihre Leistungen garantieren. Deshalb ist vorgesehen, bei steigender Nachfrage nach den Diensten auch hauptamtliche Kräfte zu beschäftigen, die im Verbund mit den freiwilligen Kräften die Dienste erbringen. Die Leistungsgarantie ist erforderlich, wenn die Betreuung und Versorgung von älteren oder hilfsbedürftigen Menschen in der eigenen Wohnung funktionieren soll. Nur wenn die Hilfe beständig geleistet wird, können Menschen in ihrer Wohnung verbleiben und müssen nicht in Alten- oder Pflegeheime umziehen. Für die Gesellschaft ist damit ein wesentlicher Kostenvorteil verbunden. Dadurch dürfte es möglich sein, die Erhaltung menschenwürdiger Lebensverhältnisse auch für die Zukunft finanziell zu sichern.

 

Erstellung eines Angebotskataloges

 

Mit den bestehenden sozialen Diensten wurde vereinbart, dass durch die Seniorengenossenschaft keine Konkurrenz zu bestehenden Einrichtungen entstehen darf. Auf der Basis der Bestandserhebung über Angebote der örtlich vorhandenen sozialen Dienste wurde eine Liste von nicht oder nicht in vollem Umfang vorhandenen Leistungen zusammengestellt. Der endgültige Katalog der von der Seniorengenossenschaft anzubietenden Leistungen wurde dann im Einvernehmen mit den anderen sozialen Diensten erstellt.

 

Satzung

 

Es wurde ein Satzungsentwurf in enger Abstimmung mit den zuständigen Beamten des Vereinsregisters beim Amtsgericht und beim Finanzamt (wegen der angestrebten Anerkennung der Gemeinnützigkeit) erarbeitet. In der Satzung wurde neben den allgemein erforderlichen vereinsrechtlichen Bestimmungen festgelegt, dass erworbene Ansprüche an die Seniorengenossenschaft vererbt werden können.

 

Seit 15 Jahren funktioniert das Riedlinger Modell ohne Schulden, ohne ein Promille öffentlicher Zuschüsse im Etat, alle Stundengutschriften sind durch Vermögen gedeckt. Es gab eine Starthilfe von 18.000 DM vom Land Baden-Württemberg. In der Vereinssatzung ist geregelt dass die Mittel, die der Verein zur Erfüllung seiner Aufgaben benötigt, im Wesentlichen durch Beiträge, Ersätze, Spenden, öffentliche und private Zuwendungen, Einnahmen und Kapitaleinlagen gedeckt werden.

 

In Riedlingen funktioniert das System auch durch das besondere Engagement des Vorstandes, Herrn Josef Martin, der ehrenamtlich, unentgeltlich und ohne Zeitgutschrift 1000 Jahresarbeitsstunden an Organisationsarbeit leistet. Auch passt in Riedlingen die Größe – alle Hauptfiguren kennen sich und vertrauen einander.

 

Seit Juli 2011 gibt es in Bayern die Seniorengenossenschaft Kronach. Laut einer Internet-Recherche (vgl. Kurt Eckstein/Mitglied des bayerischen Landtags) will der Freistaat Bayern flächendeckend helfen, Seniorengenossenschaften in Bayern aufzubauen. Nach Möglichkeit sollen 2 Projekte pro Regierungsbezirk gefördert werden. Das Projekt in Kronach wurde durch den Freistaat  in Höhe von 30.000 € gemeinsam mit anderweitigen europäischen Förderprogrammen in Höhe von insgesamt 150.000 € gefördert.

 

Die Verwaltung wird beauftragt, gemeinsam mit den Wohlfahrtsverbänden zu klären, ob der Aufbau einer Seniorengenossenschaft für Fürth sinnvoll wäre.

 

 


Finanzierung:

 

Finanzielle Auswirkungen

jährliche Folgelasten

 

x

nein

 

ja

Gesamtkosten

     

 

nein

 

ja

     

Veranschlagung im Haushalt

 

x

nein

 

ja

Hst.      

Budget-Nr.      

im

 

Vwhh

 

Vmhh

wenn nein, Deckungsvorschlag: