Betreff
Nachtzeitverschiebung Gustavstraße und Begleitmaßnahmen - Konsequenzen aus dem Berufungsurteil des VGH 22 BV 13.1686
Vorlage
Rf. III/072/2016
Art
Beschlussvorlage - R

I.          Der Stadtrat schließt sich der Abwägung der Verwaltung an und beschließt:

 

In der Gustavstraße zwischen den Hausnummern 33 (Seite Richtung Waagstraße) und 44 (Seite Richtung Marktplatz) wird der Beginn der Nachtzeit gemäß Ziff. 6.4. Abs. 2 TA Lärm auf 23 Uhr hinausgeschoben. Dies gilt für die Nächte, die einem Samstag oder einem Sonntag oder gesetzlichen Feiertag vorangehen.

II.         Der Stadtrat beschließt, die auf Grund Dringlicher Anordnung des Oberbürgermeisters vom 25.02.2016 erhobene Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision nicht weiter zu verfolgen und ermächtigt die Verwaltung, diese zurückzunehmen.

III.       
1. Die Stadt Fürth appelliert an den Bundesgesetz- und –Verordnungsgeber die Geltung der TA Lärm für Gaststätten entweder ganz aufzuheben oder wenigstens die Verantwortung des Gastwirts für Lebensäußerungen der Gäste, die auf deren eigener Willensbetätigung beruhen, zu lockern.

An der Einführung des Gebietstyps „urbanes Mischgebiet“ in die Baunutzungsverordnung sollte weiter gearbeitet werden.

 

2. Die Stadt Fürth appelliert an den Landesgesetzgeber, die Hinweise unter Rz. 54 f. des Urteils aufzugreifen und eine Sonderregelung für den mit Gaststätten in Verbindung stehenden, aber verhaltensbezogenen Lärm zu treffen. Vorbilder wären die Biergartenverordnung oder Freiluftgaststättenregelungen anderer Bundesländer.

IV.       Aufträge an die Verwaltung

1. Die Verwaltung wird beauftragt, zur Umsetzung der „Wochentags-Regelung“ die Sondernutzungsbescheide für die Freischankflächen im unter I. genannten Bereich dahingehend anzupassen, dass die Nutzung der Freischankflächen in den Nächten von Sonntag bis Donnerstag um 22 Uhr, in den Nächten von Freitag und Samstag und vor gesetzlichen Feiertagen um 23 Uhr beendet sein muss. Das gleiche gilt für entsprechende Anpassungen der Gaststättenerlaubnisse.

2. Die Verwaltung wird beauftragt, die Wirte im Bereich gemäß Ziffer I mittels Verwaltungsakt zu verpflichten, dergestalt auf die Raucher  unter den Gästen einzuwirken, dass der Raucherlärm soweit wie möglich minimiert wird, sowie deren Verhalten zu kontrollieren. Ferner soll klargestellt werden,

 - dass  das  Verabreichen von Speisen und Getränken so rechtzeitig einzustellen ist, dass der Betrieb der Freischankfläche mit Eintritt der festgesetzten Sperrzeit vollständig beendet und der zurechenbare Straßenverkehr abgewickelt sind

 - sowie nach Eintritt der Sperrzeit Arbeiten, die geeignet sind, die Nachtruhe der Anwohner zu stören (z. B. Aufräumen, Zusammenstellen von Tischen und Stühlen), nicht mehr durchgeführt werden dürfen

 - und Lieferungen, einschließlich des Wartens der Lieferfahrzeuge, vor 7 Uhr                         zu unterlassen sind.

 - Die Verwaltung wird weiter beauftragt, die Einhaltung dieser Verpflichtung im Rahmen des personell Möglichen stichprobenartig unangekündigt zu kontrollieren.

 

3. Die Verwaltung wird beauftragt, in der Saison 2016 eine Messkampagne wie 2013 einschließlich Audioaufzeichnung durchzuführen und die Ergebnisse auszuwerten. Dem Stadtrat soll spätestens in der Novembersitzung ein detaillierter Bericht mit Evaluation der unter Ziffer I beschlossenen Nachtzeitverschiebung vorgelegt werden.

 

4. Die Verwaltung wird beauftragt, die Änderung des Bebauungsplans 001 zur Entwicklung des Gebiets zu einem urbanen Mischgebiet voranzutreiben.

 

5. Die Verwaltung wird beauftragt, den Kläger des Verfahrens 22 BV 13.1686 sowie den Kläger des ruhenden Verfahrens AN 4 K 14.00540  binnen  drei Monaten nach Eingang des Urteils des Verwaltungsgerichtshofs schriftlich zu verbescheiden. Dabei soll insbesondere auf die Messkampagne und Evaluierung hingewiesen werden.

6. Die Verwaltung wird beauftragt, die für die Gaststätten im Bereich gemäß Ziffer I geltenden Baugenehmigungen, Gaststättenerlaubnisse und Sondernutzungserlaubnisse auf Widersprüche hin zu untersuchen und diese durch Anpassung der Genehmigungen aufzulösen.

V. Der Stadtrat appelliert an die Wirte und an die für den Erhalt der Gustavstraße engagierten Bürger, die Nachtruhe von 23 bis 7 Uhr vor Samstagen und Sonn- und Feiertagen strikt einzuhalten. Sie sollen auf die Gäste positiv einwirken und zu rechts- und anwohnerfreundlichem Verhalten anhalten. Der Stadtrat bittet alle Beteiligten, von Protesten gegenüber dem Hauptkläger sowie weiteren Klägern abzusehen.

 

VI. Betreffend die Veranstaltungen bleibt es bei dem Veranstaltungskonzept gemäß Beschluss vom 29.07. 2015 mit der Maßgabe, dass bei beiden Grafflmärkten die Innen- und die Außensperrzeit auf 24 Uhr festgesetzt wird.


I. Hinausschieben der Nachtzeit

Der Stadtrat schließt sich der Abwägung der Verwaltung an und beschließt:

In der Gustavstraße zwischen den Hausnummern 33 (Seite Richtung Waagstraße)  und 44 (Seite Richtung Marktplatz) wird der Beginn der Nachtzeit gemäß Ziff. 6.4. Abs. 2 TA Lärm auf 23 Uhr hinausgeschoben. Dies gilt für die Nächte, die einem Samstag oder einem Sonntag oder gesetzlichen Feiertag vorangehen.

a) Der VGH führt hierzu aus:

·         Ausgangspunkt für die insofern gebotene tatrichterliche Würdigung der Umstände des Einzelfalls (s. oben 2.2) ist die Erkenntnis, dass nahezu alle gängigen Regelwerke zur Lärmbeurteilung die Nachtzeit im Regelfall um 22.00 Uhr beginnen lassen. Dass es Ausnahmen geben kann, zeigen § 2 Abs. 1 Satz 1 der Bayerischen Biergartenverordnung vom 20. April 1999 (GVBl S. 142) und Nr. 6.4 Abs. 2 der TA Lärm. Der Verwaltungsgerichtshof hält die in der zuletzt genannten Vorschrift aufgezählten Gesichtspunkte auch außerhalb des unmittelbaren Anwendungsbereichs der TA Lärm für grundsätzlich sachgerechte Voraussetzungen für ein Hinausschieben des Beginns der Nachtzeit bis 23.00 Uhr. (Rz. 81)

·         Will eine Kommune von der durch die Nummer 6.4 Abs. 2 TA Lärm eröffneten Möglichkeit Gebrauch machen, den Beginn der Nachtzeit für das ganze Gemeindegebiet oder einen größeren Teil hiervon auf einen nach 22.00 Uhr liegenden Zeitpunkt festzusetzen, so liegt für eine solche Entscheidung jedenfalls dann, wenn sie vor dem Hintergrund eines tiefgreifenden Konflikts getroffen werden muss, der in dieser Gemeinde zwischen dem Ruhebedürfnis der betroffenen Wohnbevölkerung einerseits und dem Wunsch nach möglichst unbegrenzter Nutzung von Gaststätten andererseits zutage getreten ist, auch in einer Großstadt die Entscheidungszuständigkeit hierüber gemäß Art. 29 GO beim Gemeinderat. (Leitsatz 3)

·         In diesem Beschluss müssen ausweislich von Rz. 83 des Urteils die Tatbestandsvoraussetzungen der Nummer 6.4 Abs. 2 TA Lärm dargelegt, ihre Erfüllung nachgewiesen und die anzustellenden Ermessenserwägungen aufgezeigt werden.

 

b) Tatbestandsvoraussetzungen der Ziff. 6.4. Abs. 2 TA Lärm

 

Die Vorschrift lautet:
Die Nachtzeit kann bis zu einer Stunde hinausgeschoben oder vorverlegt werden, soweit dies wegen der besonderen örtlichen oder wegen zwingender betrieblicher Verhältnisse unter Berücksichtigung des Schutzes vor schädlichen Umwelteinwirkungen erforderlich ist. Eine achtstündige Nachtruhe der Nachbarschaft im Einwirkungsbereich der Anlage ist sicherzustellen.

 

 

(1) Sicherstellung einer 8 stündigen Nachtruhe

 

Dem Urteil sind zu diesem Tatbestandsmerkmal folgende wesentliche Punkte zu entnehmen: 

·         Zum Ausschluss der Gesundheitsgefährdung gilt die „absolute Grenze“  von 60 dB(A) in der Nachtzeit (Rz. 90).

·         Die Bewohner müssen das Maß an Ruhe finden, das sie nach Maßgabe des Bebauungsplans und/oder der Eigenart der Umgebung „schutzwürdig erwarten dürfen“. (Rz. 91)

·         Geräusche aus getrennten Quellen (also Gastronomie/Verkehr/nicht Gaststätten zuzurechnende Personen) dürfen getrennt betrachtet werden, außer ihre Summe überschreitet die gesundheitsschädlichen 60 dB(A). (Rz. 92/93)

·         Nachtruhe ist also dann gegeben, wenn an allen maßgeblichen Immissionsorten in dem Gebiet, für das das Hinausschieben gelten soll, die Richtwerte der TA Lärm als auch der Sonderregelwerke gilt.  (Rz. 94)

Hierzu kann schon einmal festgehalten werden, dass die absolute Grenze von 60 dB(A) Gesamtbelastung ausweislich der Messkampagne 2013 in Nächten außerhalb von seltenen bzw. sehr seltenen Ereignissen immer gewahrt gewesen ist.

Weiter ist zu beachten, dass es wahrscheinlich im Vergleich zu 2013 bereits ruhiger geworden ist, weil folgende Veränderungen eingetreten sind:

 

·         Erlass eines Bescheids des Amts für Umwelt, Ordnung und Verbraucherschutz an die Gastwirte im November 2013, wonach u.a. Raucher ihre Gläser nicht mehr mit nach draußen nehmen dürfen und Stehgäste nicht auf den Freischankflächen bewirtet werden dürfen.

·         Wegfall der Sperrzeitverkürzung für die „Löwenbar“

·         Deutliche Reduzierung der Zahl und Dauer der „seltenen“ und „sehr seltenen“ Ereignisse; diese sind zwar laut VGH in die Beurteilung der Nachtruhe bei Regelbetrieb nicht einzurechnen, für die Abschätzung der Gesamtbelastung aber von einer gewissen Relevanz.

·         Allgemein scheint die Akzeptanz der Regelungen zur Nachtruhe  bei Wirten und Gästen heute gegenüber 2013 erhöht zu sein.

Trotzdem ist der Nachweis der Einhaltung der Nachtruhe von 45 dB (A) von 23 Uhr bis 7 Uhr komplex.

Es bestehen in der Gustavstraße im Wesentlichen fünf Arten von Lärmquellen, bei denen aber  nur für zwei Arten Regelwerke existieren:

·         Gaststättenbetrieb, in der Nachtzeit der Innenbetrieb einschließlich der Raucher und des Zu- und Abverkehrs – Richtwert 45 dB(A) (ohne Raucherlärm, der laut VGH nur minimiert werden muss)

·         Verkehrslärm, wobei zu differenzieren ist nach

o   Straßenlärm –Grenzwert  54 dB(A) (16. BImSchV)

o   Eisenbahnlärm –Grenzwert 54 dB(A) (16. BImSchV)

o   Fluglärm –Nachtschutzzone ≥ 55 dB(A) (FluLärmG)

o   Hintergrundverkehrslärm  lt. EU-Umgebungslärmkartierung – kein Richt- oder Grenzwert

·         Passanten, darunter verstehen wir durch die Straße gehende und sich unterhaltende Menschen, die nicht einer Gaststätte zuzurechnen sind. Sie lassen sich wiederum in drei Gruppen unterteilen:

o   heimkehrende Anwohner

o   Durchgangspassanten auf dem Weg zwischen Königstraße und Marktplatz und umgekehrt

o   Personen, die durch die Gustavstraße spazieren, weil es sich um eine attraktive Straße im Herzen der Stadt („gute Stube der Stadt“) handelt.

 

Für diese Emittenten gibt es keinen Richtwert. Auch die dritte Untergruppe ist nicht  den Gaststätten zuzurechnen, solange sie sich nicht in den direkten Eingangsbereich der Gaststätte begeben und damit ihre Zuordnung zur Gaststätte kundtun. Wenn ihr Verhalten eine Lärmbelästigung darstellt (zB durch Gröhlen), stellt dies eine Ordnungswidrigkeit gemäß § 117 OWIG dar. Sie können aber nicht mit einem bestimmten Wert in die Beurteilung eingestellt werden.

Hierzu hat der VGH ausgesagt:

Soweit Schall inmitten steht, der von keinem der vorgenannten Regelwerke erfasst wird, ist er in entsprechender Anwendung derjenigen Normen zu ermitteln und zu bewerten, die unter Berücksichtigung der physikalischen Charakteristik der jeweiligen Geräusche, ihrer typischerweise empfundenen Lästigkeit und der sozialen Wertigkeit der Verhaltensweisen,auf die sie zurückzuführen sind, hierfür am besten geeignet sind. (Rz. 92)

Für Passanten fällt es schwer, einen Richtwert im Wege der Analogie anzunehmen. Menschliche Stimmen liegen zwischen Flüstern (ca. 30 dB(A)) und lautem Schreien (ca. 115 dB(A)). Dazwischen ist alles möglich, je nach Lust und Laune der Einzelnen bzw. der Gruppe. Mehr oder weniger zufällig durchlaufenden Passantengruppen müssen als „ortsüblich“, wie in jedem Mischgebiet oder sogar in Wohngebieten, eingestuft werden. Die Stadt kann allenfalls in regelmäßigen Abständen öffentlich zu Rücksichtnahme aufrufen, z.B. in der Stadtzeitung, vergleichbar den ebenfalls regelmäßigen Bitten um Sauberkeit, Wahrnehmung des Winterdienstes o.ä.


Auf Grund der Messungen aus dem Jahr 2013 kann aber mit Sicherheit gesagt werden, dass die Emissionen der Passanten nicht zu einer Überschreitung der absoluten Grenze von 60 dB(A) führen.

·         Naturgeräusche, hier insbesondere Vogelgesang. Die Vögel erreichen Halbstundenpegel von ca. 50 dB(A) und sind naturgemäß nicht beeinflussbar.
Rechtsprechung hierzu gibt es nur zu Fällen, in denen  es um vom Menschen einigermaßen beherrschbare Tiergeräusche geht (Hundegebell) oder um Naturgeräusche, die durch menschliche Maßnahmen provoziert werden (Gartenteich, der Frösche anlockt). Die Stadt darf hE mit Recht davon ausgehen, dass diese Emission nicht in die Beurteilung der zu wahrenden Nachtruhe einfließen muss.

·         Die Kirchenglocken von St. Michael trugen bei der Messung 2013 ebenfalls zur Lärmlandschaft bei, aber nicht in der Nachtzeit. Liturgisches Läuten,  das Spitzenpegel um die 75-80 dB(A) erreicht, findet in der Zeit vor 7 Uhr nicht statt. Das nichtliturgische Läuten, also die Stundenglocken, findet ab 6 Uhr statt und erreicht extrem kurze Spitzenpegel um die 62 dB(A). Auch hier muss man davon ausgehen, dass Stundenglocken auch in allgemeinen und reinen Wohngebieten zu hören wären und daher in einer Weise sozialadäquat sind, dass man sie nicht in die Nachtruheanalyse einstellen muss.

Die Umweltingenieurin des Amtes für Umwelt, Ordnung und Verbraucherschutz hat zur Wahrung der Richtwerte in der verschobenen Nachtzeit zwischen 23 und 7 Uhr die Schalltechnische Stellungnahme vom 03.03.2016 gefertigt. (Anlage 2)

Aus der Schalltechnischen Stellungnahme geht über zwei verschiedene Nachweiswege hervor, dass die Nachtwerte  zwischen 23 Uhr und 7 Uhr eingehalten werden.  Der Stadtrat stellt damit fest, dass bei Verschiebung des Beginns der Nachtzeit das Tatbestandsmerkmal der ausreichenden Nachtruhe erfüllt ist.

(2) besondere örtliche Verhältnisse

 

Laut VGH geht es dabei um die Üblichkeit bestimmter Schlafenszeiten, nämlich wann die im Gebiet wohnende Bevölkerung nach den Wertungen der Rechtsordnung schutzwürdig erwarten darf, ab 22 Uhr Schlaf zu finden (Rz. 96/97). Das ist bei Wohngebieten immer der Fall. Eine Person dagegen, die in einem faktischen Mischgebiet Wohnnutzung aufnimmt, das „seit langem durch hohen Anteil an Gaststätten gekennzeichnet ist“, müsse damit rechnen, dass die Behörden die Nachtzeit um 23 Uhr beginnen lassen. Bei der Gustavstraße stehe der anwohnerschützende Bebauungsplan in einem Spannungsverhältnis zu der Vielzahl an Gaststätten, die in dieser Menge und Ausprägung bereits vor Erlass des Bebauungsplans 001 gegeben waren, darunter auch lärmtechnisch problematische Lokale. (Rz. 101)

Die Gustavstraße stellt für den Verwaltungsgerichtshof sozusagen eine Mischung zwischen Wohn –und Mischgebiet dar bzw. genauer ein Mischgebiet, das durch den Bebauungsplan 001 in Richtung Wohngebiet verlagert wurde. Daraus folgert er, dass eine Zusammenschau der bauplanungsrechtlichen Festsetzungen mit den prägenden Wirkungen der tatsächlichen Gegebenheiten erforderlich sei, was sich praktisch in der unterschiedlichen Regelung für Wochentage niederschlägt. (Rz. 99)

 

Dieser Würdigung des Verwaltungsgerichtshofs schließt der Stadtrat sich vollumfänglich an und stellt hiermit fest, dass in der Gustavstraße zwischen den Hausnummern 33 (Hausseite Einmündung Waagstraße) und 44 (Hausseite Richtung Marktplatz) besondere örtliche Verhältnisse im Sinne der Ziffer 6.4 Absatz 2 Satz 1 TA Lärm bestehen.

Zur räumlichen Abgrenzung des Gebiets ist zu sagen, dass es sich hierbei um den Kern der Gustavstraße handelt, der in besonderem Maße von Traditionsgaststätten geprägt ist. Zugleich handelt es sich um den Bereich, in dem sich die Konflikte abspielen, auf deren Beilegung der Stadtrat mit diesem Beschluss abzielt. Soweit Konflikte in anderen Teilen der Straße entstehen, sind die dortigen Immissionssitutionen fachlich zu untersuchen und gesondert darauf zu reagieren.

c) Ermessensbetätigung

Sind die Tatbestandsmerkmale der Ziffer 6.4. TA Lärm erfüllt, muss die Stadt nicht automatisch eine Verschiebung des Beginns der Nachtzeit anordnen. Sie muss vielmehr alle für und gegen diese Maßnahme sprechenden Gesichtspunkte in ihre Entscheidung mit einbeziehen und gewichten.

Dabei sind als relevante Belange in die Ermessensbetätigung einzustellen:

·         das Interesse der Anwohner, dass die Nachtruhe, die ihnen das Gesetz und der Bebauungsplan  während der ganzen Woche zusprechen würde, eingehalten wird;

·         das Interesse der Gastwirte, dass sie wenigstens an den beiden Wochentagen, an denen in Deutschland typischerweise ausgegangen wird, ihre Freischankflächen bis 23 Uhr nutzen und Einnahmen erzielen können;

·         das Interesse der Bevölkerung, an eben diesen Abenden in der „guten Stube“ der Stadt bis 23 Uhr draußen sitzen zu können;

·         das Interesse der Stadt an einem lebendigen Stadtbild und Einkehrmöglichkeiten für Touristen;

·         das öffentliche Interesse an wohnungsnahen und damit ohne Auto erreichbaren Möglichkeiten zum Alkoholgenuss zur Vermeidung von Trunkenheitsfahrten;

·         das öffentliche Interesse an Städten mit einer urbanen Nutzungsmischung von Wohnen, Arbeiten, Bildung, Versorgung und Freizeitgestaltung in den Stadtquartieren“, einer „funktionsgemischte Stadt der kurzen Wege“.

Schon diese bloße Aufzählung zeigt ein gewisses Überwiegen der für die Nachtzeitverschiebung an Wochenenden sprechenden Belange.

Der notwendige Ausgleich für die Belange der ruhesuchenden Anwohner erfolgt erstens durch die überwiegende Zahl der Nächte, an denen die Nachtzeit gesetzeskonform um 22 Uhr beginnt.

Zweitens ist eine spürbare Senkung der Gesamtbelastung durch die Reduzierung von Zahl und Dauer der seltenen Ereignisse erfolgt.

Drittens wird – dazu erfolgt unten eine weitere Beschlussfassung  - in der Sommersaison eine weitere Messkampagne durchgeführt werden, mit der die Einhaltung der Nachtruhe überprüft werden soll. Durch gleichzeitiges Mitlaufen eines Audiobandes können die verschiedenen Lärmquellen zwar nicht hundertprozentig, aber annähernd identifiziert werden. Dem Stadtrat soll dann im Herbst berichtet und die Ergebnisse einer kritischen Evaluation zugeführt werden. Kann die Nachtruhe wider Erwarten nicht gewahrt werden, kann die getroffene Regelung nach wenigen Monaten wieder geändert werden.

Dabei spielt die Regelung zum Raucherlärm eine wichtige Rolle. Der Verwaltungsgerichtshof versucht den Widerspruch zwischen Gesundheitsschutzgesetz (Raucher nach draußen) und Lärmschutz dahingehend aufzulösen, dass er für den Raucherlärm nur eine Minimierungspflicht der Wirte annimmt:

Die Konkordanz zwischen den Vorgaben des bundesrechtlichen Verordnungsgebers,

denen zufolge Schank- und Speisewirtschaften in Dorf-, Misch- und Kerngebieten,

sofern durch Bebauungsplan nichts Gegenteiliges bestimmt wird, allgemein zulässig

sind, und der Tatsache, dass der Raucherlärm dazu führen kann, dass die in solchen

Gebieten liegenden Gaststätten die dort geltenden Immissionsrichtwerte (namentlich

zur Nachtzeit) u. U. fortlaufend nicht einzuhalten vermögen, ist vielmehr in der Weise

herzustellen, dass die zuständigen Behörden als befugt anzusehen sind, in Wahr-

nehmung des durch § 5 Abs. 1 Nr. 3 GastG eröffneten Ermessensspielraums – mit

den nachfolgend darzustellenden Einschränkungen – in (faktischen oder bauplanungsrechtlich festgesetzten) Dorf-, Misch- und Kerngebieten von einem Einschreiten gegen den Gastwirt abzusehen, soweit es zu Überschreitungen des einzuhaltenden Beurteilungspegels aufgrund des Raucherlärms kommt.(…) (Rz. 70)

(Daher) erscheint es vielmehr geboten, dass die Beklagte die Gastwirte in der Gustavstraße zusätzlich verpflichtet, entweder in eigener Person oder durch verantwortliche Beauftragte dann auf vor dem Lokal verweilende Gäste mündlich mit dem Ziel der Lärmminderung einzuwirken, wenn diese – sei es wegen der Länge ihres Aufenthalts dort, sei es wegen der Art oder der Lautstärke des hierbei praktizierten Verhaltens – die gebotene Rücksichtnahme auf die Wohnbevölkerung in der Nachbarschaft vermissen lassen, sie insbesondere den Ordnungswidrigkeitentatbestand nach § 117 Abs. 1 OWiG verwirklichen, und ihnen im Nichtbeachtungsfall Lokalverbot zu erteilen
.(Rz. 73)

Da dies eine Neuerung darstellt, erscheint es sinnvoll, deren Erfolg zu analysieren und dann erneut einen Beschluss zu fassen. Der Verwaltungsgerichtshof sagt selbst, dass die Rechtmäßigkeit der Nachtzeitverschiebung mit davon abhängt, ob die Minimierung des Raucherlärms gelingt. (Rz. 102)

Nach alledem kann die Nachtzeitverschiebung für den genannten Bereich hiermit beschlossen werden.

Für Gaststätten außerhalb des genannten Bereichs bleibt es bei den Regelungen der Sperrzeitverordnungen. Falls es dort zu Beschwerden kommt, erfolgt eine immissionsschutzfachliche Prüfung.  Auf dieser basierend wird dann entschieden, ob dort eine Nachtzeitverschiebung zulässig und geboten ist.

 

 


II. Kein Rechtsmittel


Der Stadtrat beschließt, die auf Grund Dringlicher Anordnung des Oberbürgermeisters vom 25.02.2016 erhobene Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision nicht weiter zu verfolgen und ermächtigt die Verwaltung, diese zurückzunehmen.

Nach Analyse des Rechtsreferats kann das Urteil nicht mit Aussicht auf Erfolg angefochten werden. Bei der Zulassung der Revision wird ausschließlich Bundesrecht geprüft. Die einschlägige Regelung der TA Lärm wurde vom Verwaltungsgerichtshof korrekt angewandt. Bei der bestehenden Rechtslage hat er sogar das Mögliche getan, um einen Spielraum für die Stadt herauszuarbeiten.

III. Appell an Gesetzgeber

1. Die Stadt Fürth appelliert an den Bundesgesetz- und –Verordnungsgeber die Geltung der TA Lärm für Gaststätten entweder ganz aufzuheben oder wenigstens die Verantwortung des Gastwirts für Lebensäußerungen der Gäste, die auf deren eigener Willensbetätigung beruhen, zu lockern.
An der Einführung des Gebietstyps „urbanes Mischgebiet“ in die Baunutzungsverordnung sollte weiter gearbeitet werden.

2. Die Stadt Fürth appelliert an den Landesgesetzgeber, die Hinweise unter Rz. 54 f. des Urteils aufzugreifen und eine Sonderregelung für den mit Gaststätten in Verbindung stehenden, aber verhaltensbezogenen Lärm zu treffen. Vorbilder wären die Biergartenverordnung oder Freiluftgaststättenregelungen anderer Bundesländer.

Begründung: Aus Rz. 54, 55 des Urteils geht klar hervor, dass die enge Regelung der TA Lärm zur Anwendung kommt, weil der Landesgesetzgeber die ihm seit der Föderalismusreform zukommende Gesetzgebungskompetenz nicht genutzt hat.

 

IV. Aufträge an die Verwaltung

  1. Die Verwaltung wird beauftragt, zur Umsetzung der „Wochentags-Regelung“ die Sondernutzungsbescheide für die Freischankflächen im unter I. genannten Bereich dahingehend anzupassen, dass die Nutzung der Freischankflächen in den Nächten von Sonntag bis Donnerstag um 22 Uhr, in den Nächten von Freitag und Samstag und vor gesetzlichen Feiertagen um 23 Uhr beendet sein muss. Das gleiche gilt für entsprechende Anpassungen der Gaststättenerlaubnisse.
  2. Die Verwaltung wird beauftragt, die Wirte im Bereich gemäß Ziffer I mittels Verwaltungsakt zu verpflichten, dergestalt auf die Raucher  unter den Gästen einzuwirken, dass der Raucherlärm soweit wie möglich minimiert wird, sowie deren Verhalten zu kontrollieren. Ferner soll klargestellt werden,

-        dass  das  Verabreichen von Speisen und Getränken so rechtzeitig einzustellen ist, dass der Betrieb der Freischankfläche mit Eintritt der festgesetzten Sperrzeit vollständig beendet und der zurechenbare Straßenverkehr abgewickelt sind

-        sowie nach Eintritt der Sperrzeit Arbeiten, die geeignet sind, die Nachtruhe der Anwohner zu stören (z. B. Aufräumen, Zusammenstellen von Tischen und Stühlen), nicht mehr durchgeführt werden dürfen

-        und Lieferungen, einschließlich des Wartens der Lieferfahrzeuge, vor 7 Uhr zu unterlassen sind.

-        Die Verwaltung wird weiter beauftragt, die Einhaltung dieser Verpflichtung im Rahmen des personell Möglichen stichprobenartig unangekündigt zu kontrollieren.

3. Die Verwaltung wird beauftragt, in der Saison 2016 eine Messkampagne wie 2013 einschließlich Audioaufzeichnung durchzuführen und die Ergebnisse auszuwerten. Dem Stadtrat soll spätestens in der Novembersitzung ein detaillierter Bericht mit Evaluation der unter Ziffer I beschlossenen Nachtzeitverschiebung vorgelegt werden.

4. Die Verwaltung wird beauftragt, die Änderung des Bebauungsplans 001 zur Entwicklung des Gebiets zu einem urbanen Mischgebiet voranzutreiben.

5. Die Verwaltung wird beauftragt, den Kläger des Verfahrens 22 BV 13.1686 sowie den Kläger des ruhenden Verfahrens AN 4 K 14.00540  binnen  drei Monaten nach Eingang des Urteils des Verwaltungsgerichtshofs schriftlich zu verbescheiden. Dabei soll insbesondere auf die Messkampagne und Evaluierung hingewiesen werden.

Begründung: Der Verwaltungsgerichtshof hat der Stadt keine Frist gesetzt, innerhalb derer sie den Kläger zu verbescheiden hat. Nach Auffassung des Rechtsreferats ist es sachgerecht, hier die Dreimonatsfrist des § 75 VwGO entsprechend heranzuziehen, die ein Kläger grundsätzlich abwarten soll, bevor er bei Untätigkeit der Behörde Klage erhebt.

6. Die Verwaltung wird beauftragt, die für die Gaststätten im Bereich gemäß Ziffer I geltenden Baugenehmigungen, Gaststättenerlaubnisse und Sondernutzungserlaubnisse auf Widersprüche hin zu untersuchen und diese durch Anpassung der Genehmigungen aufzulösen.

Begründung: Der Verwaltungsgerichtshof betont, dass sowohl die Privilegierung des Raucherlärms als auch die Nachtzeitregelung für die Wochenenden für „bauplanungsrechtlich unzulässige“ bzw. „nicht durch eine Baugenehmigung legalisierte“ Gaststätten nicht gelten. Der Kläger hat dies bereits auf so gut wie alle Freischankflächen bezogen, die seiner Meinung nach unzulässige Erweiterungen der Gaststätten darstellen. Aus Sicht der Stadt kann sich diese Voraussetzung nur auf die Innenräume der Gaststätten beziehen, da die Raucher aus diesen kommen, und auf die einzige baugenehmigungspflichtige Freischankfläche. Die Stadt geht davon aus, dass diese Problematik durch detailliertere Abstimmung der Regelungen gelöst werden kann.

V. Der Stadtrat appelliert an die Wirte und an die für den Erhalt der Gustavstraße engagierten Bürger, die Nachtruhe von 23 bis 7 Uhr vor Samstagen und Sonn- und Feiertagen strikt einzuhalten. Sie sollen auf die Gäste positiv einwirken und zu rechts- und anwohnerfreundlichem Verhalten anhalten. Der Stadtrat bittet alle Beteiligten, von Protesten gegenüber dem Hauptkläger sowie weiteren Klägern abzusehen.

VI. Betreffend die Veranstaltungen bleibt es bei dem Veranstaltungskonzept gemäß Beschluss vom 29.07. 2015 mit der Maßgabe, dass bei beiden Graffllmärkten die Innen- und die Außensperrzeit auf 24 Uhr festgesetzt wird.

Begründung: Angesichts der Rechtslage sollte die Stadt bei den Veranstaltungen auf der „sicheren Seite“ bleiben, auch um Rechtsstreite in letzter Minute 2016 zu vermeiden. der Verwaltungsgerichtshof hat 2015 signalisiert, dass die eine verbliebene „sehr seltene“ Veranstaltung mit einer Öffnungszeit bis 24 Uhr innen und außen akzeptiert werden kann.

 


Finanzierung:

 

Finanzielle Auswirkungen

jährliche Folgelasten

 

 

nein

 

ja

Gesamtkosten

     

 

nein

 

ja

     

Veranschlagung im Haushalt

 

 

nein

 

ja

Hst.      

Budget-Nr.      

im

 

Vwhh

 

Vmhh

wenn nein, Deckungsvorschlag:

 


Anlagen 1, 2, 3, 4a, 4b