I. Der Stadtrat schließt sich der Abwägung der Verwaltung an und beschließt:
In der Gustavstraße zwischen den Hausnummern 33 (Seite
Richtung Waagstraße) und 44 (Seite Richtung Marktplatz) wird der Beginn der
Nachtzeit gemäß Ziff. 6.4. Abs. 2 TA Lärm auf 23 Uhr hinausgeschoben. Dies gilt
für die Nächte, die einem Samstag oder einem Sonntag oder gesetzlichen Feiertag
vorangehen.
II. Der
Stadtrat beschließt, die auf Grund Dringlicher Anordnung des Oberbürgermeisters
vom 25.02.2016 erhobene Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision nicht
weiter zu verfolgen und ermächtigt die Verwaltung, diese zurückzunehmen.
III.
1. Die Stadt Fürth appelliert an den Bundesgesetz- und –Verordnungsgeber die
Geltung der TA Lärm für Gaststätten entweder ganz aufzuheben oder wenigstens
die Verantwortung des Gastwirts für Lebensäußerungen der Gäste, die auf deren
eigener Willensbetätigung beruhen, zu lockern.
An der Einführung des Gebietstyps „urbanes Mischgebiet“ in die Baunutzungsverordnung sollte weiter gearbeitet werden.
2. Die Stadt Fürth appelliert an den Landesgesetzgeber, die
Hinweise unter Rz. 54 f. des Urteils aufzugreifen und eine Sonderregelung für
den mit Gaststätten in Verbindung stehenden, aber verhaltensbezogenen Lärm zu
treffen. Vorbilder wären die Biergartenverordnung oder
Freiluftgaststättenregelungen anderer Bundesländer.
IV. Aufträge an
die Verwaltung
1. Die Verwaltung wird beauftragt, zur Umsetzung der
„Wochentags-Regelung“ die Sondernutzungsbescheide für die Freischankflächen im
unter I. genannten Bereich dahingehend anzupassen, dass die Nutzung der
Freischankflächen in den Nächten von Sonntag bis Donnerstag um 22 Uhr, in den
Nächten von Freitag und Samstag und vor gesetzlichen Feiertagen um 23 Uhr
beendet sein muss. Das gleiche gilt für entsprechende Anpassungen der
Gaststättenerlaubnisse.
2. Die Verwaltung wird beauftragt, die Wirte im Bereich gemäß Ziffer I mittels Verwaltungsakt zu verpflichten, dergestalt auf die Raucher unter den Gästen einzuwirken, dass der Raucherlärm soweit wie möglich minimiert wird, sowie deren Verhalten zu kontrollieren. Ferner soll klargestellt werden,
- dass das Verabreichen von Speisen und Getränken so rechtzeitig einzustellen ist, dass der Betrieb der Freischankfläche mit Eintritt der festgesetzten Sperrzeit vollständig beendet und der zurechenbare Straßenverkehr abgewickelt sind
- sowie nach Eintritt der Sperrzeit Arbeiten, die geeignet sind, die Nachtruhe der Anwohner zu stören (z. B. Aufräumen, Zusammenstellen von Tischen und Stühlen), nicht mehr durchgeführt werden dürfen
- und Lieferungen,
einschließlich des Wartens der Lieferfahrzeuge, vor 7 Uhr zu unterlassen sind.
- Die Verwaltung wird weiter beauftragt, die Einhaltung dieser Verpflichtung im Rahmen des personell Möglichen stichprobenartig unangekündigt zu kontrollieren.
3. Die Verwaltung wird beauftragt, in der Saison 2016 eine Messkampagne wie 2013 einschließlich Audioaufzeichnung durchzuführen und die Ergebnisse auszuwerten. Dem Stadtrat soll spätestens in der Novembersitzung ein detaillierter Bericht mit Evaluation der unter Ziffer I beschlossenen Nachtzeitverschiebung vorgelegt werden.
4. Die Verwaltung wird beauftragt, die Änderung des Bebauungsplans 001 zur Entwicklung des Gebiets zu einem urbanen Mischgebiet voranzutreiben.
5. Die Verwaltung wird beauftragt, den Kläger des Verfahrens
22 BV 13.1686 sowie den Kläger des ruhenden Verfahrens AN 4 K 14.00540 binnen
drei Monaten nach Eingang des Urteils des Verwaltungsgerichtshofs
schriftlich zu verbescheiden. Dabei soll insbesondere auf die Messkampagne und
Evaluierung hingewiesen werden.
6. Die Verwaltung wird beauftragt, die für die Gaststätten
im Bereich gemäß Ziffer I geltenden Baugenehmigungen, Gaststättenerlaubnisse
und Sondernutzungserlaubnisse auf Widersprüche hin zu untersuchen und diese
durch Anpassung der Genehmigungen aufzulösen.
V. Der Stadtrat appelliert an die Wirte und an die für den Erhalt der Gustavstraße engagierten Bürger, die Nachtruhe von 23 bis 7 Uhr vor Samstagen und Sonn- und Feiertagen strikt einzuhalten. Sie sollen auf die Gäste positiv einwirken und zu rechts- und anwohnerfreundlichem Verhalten anhalten. Der Stadtrat bittet alle Beteiligten, von Protesten gegenüber dem Hauptkläger sowie weiteren Klägern abzusehen.
VI. Betreffend die Veranstaltungen bleibt es bei dem Veranstaltungskonzept gemäß Beschluss vom 29.07. 2015 mit der Maßgabe, dass bei beiden Grafflmärkten die Innen- und die Außensperrzeit auf 24 Uhr festgesetzt wird.
I. Hinausschieben der Nachtzeit
Der Stadtrat schließt sich der Abwägung der Verwaltung an und beschließt:
In der Gustavstraße zwischen den Hausnummern 33 (Seite Richtung
Waagstraße) und 44 (Seite Richtung
Marktplatz) wird der Beginn der Nachtzeit gemäß Ziff. 6.4. Abs. 2 TA Lärm auf
23 Uhr hinausgeschoben. Dies gilt für die Nächte, die einem Samstag oder einem
Sonntag oder gesetzlichen Feiertag vorangehen.
a) Der VGH führt hierzu aus:
·
Ausgangspunkt für die insofern gebotene tatrichterliche Würdigung der
Umstände des Einzelfalls (s. oben 2.2) ist die Erkenntnis, dass nahezu alle
gängigen Regelwerke zur Lärmbeurteilung die Nachtzeit im Regelfall um 22.00 Uhr
beginnen lassen. Dass es Ausnahmen geben kann, zeigen § 2 Abs. 1 Satz 1 der
Bayerischen Biergartenverordnung vom 20. April 1999 (GVBl S. 142) und Nr. 6.4
Abs. 2 der TA Lärm. Der Verwaltungsgerichtshof hält die in der zuletzt
genannten Vorschrift aufgezählten Gesichtspunkte auch außerhalb des
unmittelbaren Anwendungsbereichs der TA Lärm für grundsätzlich sachgerechte
Voraussetzungen für ein Hinausschieben des Beginns der Nachtzeit bis 23.00 Uhr.
(Rz. 81)
·
Will eine Kommune von der durch die Nummer 6.4 Abs. 2 TA Lärm eröffneten
Möglichkeit Gebrauch machen, den Beginn der Nachtzeit für das ganze
Gemeindegebiet oder einen größeren Teil hiervon auf einen nach 22.00 Uhr
liegenden Zeitpunkt festzusetzen, so liegt für eine solche Entscheidung
jedenfalls dann, wenn sie vor dem Hintergrund eines tiefgreifenden Konflikts
getroffen werden muss, der in dieser Gemeinde zwischen dem Ruhebedürfnis der
betroffenen Wohnbevölkerung einerseits und dem Wunsch nach möglichst unbegrenzter
Nutzung von Gaststätten andererseits zutage getreten ist, auch in einer
Großstadt die Entscheidungszuständigkeit hierüber gemäß Art. 29 GO beim
Gemeinderat. (Leitsatz 3)
·
In diesem Beschluss
müssen ausweislich von Rz. 83 des Urteils die Tatbestandsvoraussetzungen der Nummer 6.4
Abs. 2 TA Lärm dargelegt, ihre Erfüllung nachgewiesen und die anzustellenden
Ermessenserwägungen aufgezeigt werden.
b) Tatbestandsvoraussetzungen der Ziff. 6.4. Abs. 2
TA Lärm
Die Vorschrift lautet:
Die Nachtzeit kann bis zu einer Stunde hinausgeschoben oder vorverlegt werden,
soweit dies wegen der besonderen örtlichen oder wegen zwingender betrieblicher
Verhältnisse unter Berücksichtigung des Schutzes vor schädlichen
Umwelteinwirkungen erforderlich ist. Eine achtstündige Nachtruhe der
Nachbarschaft im Einwirkungsbereich der Anlage ist sicherzustellen.
(1)
Sicherstellung einer 8 stündigen Nachtruhe
Dem Urteil sind zu diesem Tatbestandsmerkmal folgende wesentliche Punkte zu entnehmen:
·
Zum Ausschluss der Gesundheitsgefährdung
gilt die „absolute Grenze“ von 60 dB(A)
in der Nachtzeit (Rz. 90).
·
Die Bewohner müssen das
Maß an Ruhe finden, das sie nach Maßgabe des Bebauungsplans und/oder der
Eigenart der Umgebung „schutzwürdig
erwarten dürfen“. (Rz. 91)
·
Geräusche aus getrennten
Quellen (also Gastronomie/Verkehr/nicht Gaststätten zuzurechnende Personen)
dürfen getrennt betrachtet werden, außer ihre Summe überschreitet die
gesundheitsschädlichen 60 dB(A). (Rz. 92/93)
·
Nachtruhe ist also dann gegeben, wenn an allen maßgeblichen
Immissionsorten in dem Gebiet, für das das Hinausschieben gelten soll, die
Richtwerte der TA Lärm als auch der Sonderregelwerke gilt. (Rz. 94)
Hierzu kann schon einmal festgehalten werden, dass die absolute Grenze
von 60 dB(A) Gesamtbelastung ausweislich der Messkampagne 2013 in Nächten
außerhalb von seltenen bzw. sehr seltenen Ereignissen immer gewahrt gewesen
ist.
Weiter ist zu beachten, dass es wahrscheinlich im Vergleich zu 2013
bereits ruhiger geworden ist, weil folgende Veränderungen eingetreten sind:
·
Erlass eines Bescheids
des Amts für Umwelt, Ordnung und Verbraucherschutz an die Gastwirte im November
2013, wonach u.a. Raucher ihre Gläser nicht mehr mit nach draußen nehmen dürfen
und Stehgäste nicht auf den Freischankflächen bewirtet werden dürfen.
·
Wegfall der
Sperrzeitverkürzung für die „Löwenbar“
·
Deutliche Reduzierung der
Zahl und Dauer der „seltenen“ und „sehr seltenen“ Ereignisse; diese sind zwar
laut VGH in die Beurteilung der Nachtruhe bei Regelbetrieb nicht einzurechnen,
für die Abschätzung der Gesamtbelastung aber von einer gewissen Relevanz.
·
Allgemein scheint die
Akzeptanz der Regelungen zur Nachtruhe
bei Wirten und Gästen heute gegenüber 2013 erhöht zu sein.
Trotzdem ist der Nachweis der Einhaltung der Nachtruhe von 45 dB (A) von
23 Uhr bis 7 Uhr komplex.
Es bestehen in der Gustavstraße im Wesentlichen fünf Arten von
Lärmquellen, bei denen aber nur für zwei
Arten Regelwerke existieren:
·
Gaststättenbetrieb, in
der Nachtzeit der Innenbetrieb einschließlich der Raucher und des Zu- und
Abverkehrs – Richtwert 45 dB(A) (ohne Raucherlärm, der laut VGH nur
minimiert werden muss)
·
Verkehrslärm, wobei zu
differenzieren ist nach
o
Straßenlärm
–Grenzwert 54 dB(A) (16. BImSchV)
o
Eisenbahnlärm –Grenzwert
54 dB(A) (16. BImSchV)
o
Fluglärm –Nachtschutzzone
≥ 55 dB(A) (FluLärmG)
o
Hintergrundverkehrslärm lt. EU-Umgebungslärmkartierung – kein Richt-
oder Grenzwert
·
Passanten, darunter
verstehen wir durch die Straße gehende und sich unterhaltende Menschen, die
nicht einer Gaststätte zuzurechnen sind. Sie lassen sich wiederum in drei
Gruppen unterteilen:
o
heimkehrende Anwohner
o
Durchgangspassanten auf
dem Weg zwischen Königstraße und Marktplatz und umgekehrt
o
Personen, die durch die
Gustavstraße spazieren, weil es sich um eine attraktive Straße im Herzen der
Stadt („gute Stube der Stadt“) handelt.
Für diese Emittenten gibt es keinen Richtwert. Auch die dritte Untergruppe
ist nicht den Gaststätten zuzurechnen,
solange sie sich nicht in den direkten Eingangsbereich der Gaststätte begeben
und damit ihre Zuordnung zur Gaststätte kundtun. Wenn ihr Verhalten eine
Lärmbelästigung darstellt (zB durch Gröhlen), stellt dies eine
Ordnungswidrigkeit gemäß § 117 OWIG dar. Sie können aber nicht mit einem
bestimmten Wert in die Beurteilung eingestellt werden.
Hierzu hat der VGH ausgesagt:
Soweit Schall
inmitten steht, der von keinem der vorgenannten Regelwerke erfasst wird, ist er
in entsprechender Anwendung derjenigen Normen zu ermitteln und zu bewerten, die
unter Berücksichtigung der physikalischen Charakteristik der jeweiligen
Geräusche, ihrer typischerweise empfundenen Lästigkeit und der sozialen
Wertigkeit der Verhaltensweisen,auf die sie zurückzuführen sind, hierfür am
besten geeignet sind. (Rz. 92)
Für Passanten fällt es schwer, einen Richtwert im Wege der Analogie anzunehmen.
Menschliche Stimmen liegen zwischen Flüstern (ca. 30 dB(A)) und lautem Schreien
(ca. 115 dB(A)). Dazwischen ist alles möglich, je nach Lust und Laune der
Einzelnen bzw. der Gruppe. Mehr oder weniger zufällig durchlaufenden
Passantengruppen müssen als „ortsüblich“, wie in jedem Mischgebiet oder sogar
in Wohngebieten, eingestuft werden. Die Stadt kann allenfalls in regelmäßigen
Abständen öffentlich zu Rücksichtnahme aufrufen, z.B. in der Stadtzeitung,
vergleichbar den ebenfalls regelmäßigen Bitten um Sauberkeit, Wahrnehmung des
Winterdienstes o.ä.
Auf Grund der Messungen aus dem Jahr 2013 kann aber mit Sicherheit gesagt
werden, dass die Emissionen der Passanten nicht zu einer Überschreitung der
absoluten Grenze von 60 dB(A) führen.
·
Naturgeräusche, hier
insbesondere Vogelgesang. Die Vögel erreichen Halbstundenpegel von ca. 50 dB(A)
und sind naturgemäß nicht beeinflussbar.
Rechtsprechung hierzu gibt es nur zu Fällen, in denen es um vom Menschen einigermaßen beherrschbare
Tiergeräusche geht (Hundegebell) oder um Naturgeräusche, die durch menschliche
Maßnahmen provoziert werden (Gartenteich, der Frösche anlockt). Die Stadt darf
hE mit Recht davon ausgehen, dass diese Emission nicht in die Beurteilung der
zu wahrenden Nachtruhe einfließen muss.
·
Die Kirchenglocken von
St. Michael trugen bei der Messung 2013 ebenfalls zur Lärmlandschaft bei, aber
nicht in der Nachtzeit. Liturgisches Läuten,
das Spitzenpegel um die 75-80 dB(A) erreicht, findet in der Zeit vor 7
Uhr nicht statt. Das nichtliturgische Läuten, also die Stundenglocken, findet
ab 6 Uhr statt und erreicht extrem kurze Spitzenpegel um die 62 dB(A). Auch
hier muss man davon ausgehen, dass Stundenglocken auch in allgemeinen und
reinen Wohngebieten zu hören wären und daher in einer Weise sozialadäquat sind,
dass man sie nicht in die Nachtruheanalyse einstellen muss.
Die Umweltingenieurin des Amtes für Umwelt, Ordnung und Verbraucherschutz
hat zur Wahrung der Richtwerte in der verschobenen Nachtzeit zwischen 23 und 7
Uhr die Schalltechnische Stellungnahme vom 03.03.2016 gefertigt. (Anlage
2)
Aus der
Schalltechnischen Stellungnahme geht über zwei verschiedene Nachweiswege
hervor, dass die Nachtwerte zwischen 23
Uhr und 7 Uhr eingehalten werden. Der
Stadtrat stellt damit fest, dass bei Verschiebung des Beginns der Nachtzeit das
Tatbestandsmerkmal der ausreichenden Nachtruhe erfüllt ist.
(2) besondere örtliche Verhältnisse
Laut
VGH geht es dabei um die Üblichkeit
bestimmter Schlafenszeiten, nämlich wann die im Gebiet wohnende Bevölkerung nach den Wertungen der Rechtsordnung
schutzwürdig erwarten darf, ab 22 Uhr Schlaf zu finden (Rz. 96/97). Das ist
bei Wohngebieten immer der Fall. Eine Person dagegen, die in einem faktischen
Mischgebiet Wohnnutzung aufnimmt, das „seit langem durch hohen Anteil an
Gaststätten gekennzeichnet ist“, müsse damit rechnen, dass die Behörden die
Nachtzeit um 23 Uhr beginnen lassen. Bei der Gustavstraße stehe der
anwohnerschützende Bebauungsplan in einem Spannungsverhältnis zu der Vielzahl
an Gaststätten, die in dieser Menge und Ausprägung bereits vor Erlass des Bebauungsplans
001 gegeben waren, darunter auch lärmtechnisch problematische Lokale. (Rz. 101)
Die
Gustavstraße stellt für den Verwaltungsgerichtshof sozusagen eine Mischung
zwischen Wohn –und Mischgebiet dar bzw. genauer ein Mischgebiet, das durch den
Bebauungsplan 001 in Richtung Wohngebiet verlagert wurde. Daraus folgert er,
dass eine Zusammenschau der
bauplanungsrechtlichen Festsetzungen mit den prägenden Wirkungen der
tatsächlichen Gegebenheiten erforderlich sei, was sich praktisch in der
unterschiedlichen Regelung für Wochentage niederschlägt. (Rz. 99)
Dieser
Würdigung des Verwaltungsgerichtshofs schließt der Stadtrat sich vollumfänglich
an und stellt hiermit fest, dass in der Gustavstraße zwischen den Hausnummern
33 (Hausseite Einmündung Waagstraße) und 44 (Hausseite Richtung Marktplatz)
besondere örtliche Verhältnisse im Sinne der Ziffer 6.4 Absatz 2 Satz 1 TA Lärm
bestehen.
Zur räumlichen Abgrenzung des Gebiets ist zu sagen,
dass es sich hierbei um den Kern der Gustavstraße handelt, der in besonderem
Maße von Traditionsgaststätten geprägt ist. Zugleich handelt es sich um den
Bereich, in dem sich die Konflikte abspielen, auf deren Beilegung der Stadtrat
mit diesem Beschluss abzielt. Soweit Konflikte in anderen Teilen der Straße
entstehen, sind die dortigen Immissionssitutionen fachlich zu untersuchen und
gesondert darauf zu reagieren.
c) Ermessensbetätigung
Sind die Tatbestandsmerkmale der Ziffer 6.4. TA Lärm
erfüllt, muss die Stadt nicht automatisch eine Verschiebung des Beginns der
Nachtzeit anordnen. Sie muss vielmehr alle für und gegen diese Maßnahme
sprechenden Gesichtspunkte in ihre Entscheidung mit einbeziehen und gewichten.
Dabei sind als relevante Belange in die
Ermessensbetätigung einzustellen:
·
das
Interesse der Anwohner, dass die Nachtruhe, die ihnen das Gesetz und der
Bebauungsplan während der ganzen Woche
zusprechen würde, eingehalten wird;
·
das
Interesse der Gastwirte, dass sie wenigstens an den beiden Wochentagen, an
denen in Deutschland typischerweise ausgegangen wird, ihre Freischankflächen
bis 23 Uhr nutzen und Einnahmen erzielen können;
·
das
Interesse der Bevölkerung, an eben diesen Abenden in der „guten Stube“ der
Stadt bis 23 Uhr draußen sitzen zu können;
·
das
Interesse der Stadt an einem lebendigen Stadtbild und Einkehrmöglichkeiten für
Touristen;
·
das
öffentliche Interesse an wohnungsnahen und damit ohne Auto erreichbaren
Möglichkeiten zum Alkoholgenuss zur Vermeidung von Trunkenheitsfahrten;
·
das
öffentliche Interesse an Städten mit einer urbanen Nutzungsmischung von Wohnen,
Arbeiten, Bildung, Versorgung und Freizeitgestaltung in den Stadtquartieren“, einer „funktionsgemischte Stadt der kurzen Wege“.
Schon diese bloße Aufzählung zeigt ein gewisses
Überwiegen der für die Nachtzeitverschiebung an Wochenenden sprechenden
Belange.
Der notwendige Ausgleich für die Belange der ruhesuchenden Anwohner erfolgt
erstens durch die überwiegende Zahl der Nächte, an denen die Nachtzeit
gesetzeskonform um 22 Uhr beginnt.
Zweitens ist eine spürbare Senkung der Gesamtbelastung durch die Reduzierung
von Zahl und Dauer der seltenen Ereignisse erfolgt.
Drittens wird – dazu erfolgt unten eine weitere Beschlussfassung - in der Sommersaison eine weitere
Messkampagne durchgeführt werden, mit der die Einhaltung der Nachtruhe
überprüft werden soll. Durch gleichzeitiges Mitlaufen eines Audiobandes können
die verschiedenen Lärmquellen zwar nicht hundertprozentig, aber annähernd
identifiziert werden. Dem Stadtrat soll dann im Herbst berichtet und die
Ergebnisse einer kritischen Evaluation zugeführt werden. Kann die Nachtruhe
wider Erwarten nicht gewahrt werden, kann die getroffene Regelung nach wenigen
Monaten wieder geändert werden.
Dabei spielt die Regelung zum Raucherlärm eine wichtige Rolle. Der
Verwaltungsgerichtshof versucht den Widerspruch zwischen
Gesundheitsschutzgesetz (Raucher nach draußen) und Lärmschutz dahingehend
aufzulösen, dass er für den Raucherlärm nur eine Minimierungspflicht der
Wirte annimmt:
Die Konkordanz
zwischen den Vorgaben des bundesrechtlichen Verordnungsgebers,
denen zufolge
Schank- und Speisewirtschaften in Dorf-, Misch- und Kerngebieten,
sofern durch
Bebauungsplan nichts Gegenteiliges bestimmt wird, allgemein zulässig
sind, und der
Tatsache, dass der Raucherlärm dazu führen kann, dass die in solchen
Gebieten liegenden
Gaststätten die dort geltenden Immissionsrichtwerte (namentlich
zur Nachtzeit) u.
U. fortlaufend nicht einzuhalten vermögen, ist vielmehr in der Weise
herzustellen, dass
die zuständigen Behörden als befugt anzusehen sind, in Wahr-
nehmung des durch
§ 5 Abs. 1 Nr. 3 GastG eröffneten Ermessensspielraums – mit
den nachfolgend
darzustellenden Einschränkungen – in (faktischen oder bauplanungsrechtlich
festgesetzten) Dorf-, Misch- und Kerngebieten von einem Einschreiten gegen den
Gastwirt abzusehen, soweit es zu Überschreitungen des einzuhaltenden
Beurteilungspegels aufgrund des Raucherlärms kommt.(…) (Rz. 70)
(Daher) erscheint es vielmehr geboten, dass die Beklagte die Gastwirte in der
Gustavstraße zusätzlich verpflichtet, entweder in eigener Person oder durch
verantwortliche Beauftragte dann auf vor dem Lokal verweilende Gäste mündlich
mit dem Ziel der Lärmminderung einzuwirken, wenn diese – sei es wegen der Länge
ihres Aufenthalts dort, sei es wegen der Art oder der Lautstärke des hierbei
praktizierten Verhaltens – die gebotene Rücksichtnahme auf die Wohnbevölkerung
in der Nachbarschaft vermissen lassen, sie insbesondere den
Ordnungswidrigkeitentatbestand nach § 117 Abs. 1 OWiG verwirklichen, und ihnen
im Nichtbeachtungsfall Lokalverbot zu erteilen.(Rz. 73)
Da dies eine Neuerung darstellt, erscheint es
sinnvoll, deren Erfolg zu analysieren und dann erneut einen Beschluss zu
fassen. Der Verwaltungsgerichtshof sagt selbst, dass die Rechtmäßigkeit der
Nachtzeitverschiebung mit davon abhängt, ob die Minimierung des Raucherlärms
gelingt. (Rz. 102)
Nach alledem kann die Nachtzeitverschiebung für den genannten Bereich hiermit
beschlossen werden.
Für Gaststätten außerhalb des genannten Bereichs bleibt es bei den Regelungen
der Sperrzeitverordnungen. Falls es dort zu Beschwerden kommt, erfolgt eine
immissionsschutzfachliche Prüfung. Auf
dieser basierend wird dann entschieden, ob dort eine Nachtzeitverschiebung zulässig
und geboten ist.
II. Kein Rechtsmittel
Der Stadtrat beschließt, die auf Grund Dringlicher Anordnung des
Oberbürgermeisters vom 25.02.2016 erhobene Beschwerde gegen die Nichtzulassung
der Revision nicht weiter zu verfolgen und ermächtigt die Verwaltung, diese
zurückzunehmen.
Nach Analyse des Rechtsreferats kann das Urteil nicht mit Aussicht auf Erfolg
angefochten werden. Bei der Zulassung der Revision wird ausschließlich
Bundesrecht geprüft. Die einschlägige Regelung der TA Lärm wurde vom
Verwaltungsgerichtshof korrekt angewandt. Bei der bestehenden Rechtslage hat er
sogar das Mögliche getan, um einen Spielraum für die Stadt herauszuarbeiten.
III. Appell an Gesetzgeber
1. Die Stadt Fürth appelliert an den
Bundesgesetz- und –Verordnungsgeber die Geltung der TA Lärm für Gaststätten
entweder ganz aufzuheben oder wenigstens die Verantwortung des Gastwirts für
Lebensäußerungen der Gäste, die auf deren eigener Willensbetätigung beruhen, zu
lockern.
An der Einführung des Gebietstyps „urbanes Mischgebiet“ in
die Baunutzungsverordnung sollte weiter gearbeitet werden.
2. Die Stadt Fürth appelliert an den
Landesgesetzgeber, die Hinweise unter Rz. 54 f. des Urteils aufzugreifen und
eine Sonderregelung für den mit Gaststätten in Verbindung stehenden, aber
verhaltensbezogenen Lärm zu treffen. Vorbilder wären die Biergartenverordnung
oder Freiluftgaststättenregelungen anderer Bundesländer.
Begründung: Aus Rz. 54, 55 des Urteils geht
klar hervor, dass die enge Regelung der TA Lärm zur Anwendung kommt, weil der
Landesgesetzgeber die ihm seit der Föderalismusreform zukommende
Gesetzgebungskompetenz nicht genutzt hat.
IV. Aufträge an die Verwaltung
- Die Verwaltung wird
beauftragt, zur Umsetzung der „Wochentags-Regelung“ die
Sondernutzungsbescheide für die Freischankflächen im unter I. genannten
Bereich dahingehend anzupassen, dass die Nutzung der Freischankflächen in
den Nächten von Sonntag bis Donnerstag um 22 Uhr, in den Nächten von
Freitag und Samstag und vor gesetzlichen Feiertagen um 23 Uhr beendet sein
muss. Das gleiche gilt für entsprechende Anpassungen der
Gaststättenerlaubnisse.
- Die Verwaltung wird
beauftragt, die Wirte im Bereich gemäß Ziffer I mittels Verwaltungsakt zu
verpflichten, dergestalt auf die Raucher
unter den Gästen einzuwirken, dass der Raucherlärm soweit wie
möglich minimiert wird, sowie deren Verhalten zu kontrollieren. Ferner
soll klargestellt werden,
-
dass
das Verabreichen von Speisen und Getränken so
rechtzeitig einzustellen ist, dass der Betrieb der Freischankfläche mit
Eintritt der festgesetzten Sperrzeit vollständig beendet und der zurechenbare
Straßenverkehr abgewickelt sind
-
sowie nach Eintritt der Sperrzeit Arbeiten, die geeignet sind, die
Nachtruhe der Anwohner zu stören (z. B. Aufräumen, Zusammenstellen von Tischen
und Stühlen), nicht mehr durchgeführt werden dürfen
-
und
Lieferungen, einschließlich des Wartens der Lieferfahrzeuge, vor 7 Uhr zu
unterlassen sind.
-
Die
Verwaltung wird weiter beauftragt, die Einhaltung dieser Verpflichtung im
Rahmen des personell Möglichen stichprobenartig unangekündigt zu kontrollieren.
3. Die Verwaltung wird beauftragt, in der
Saison 2016 eine Messkampagne wie 2013 einschließlich Audioaufzeichnung
durchzuführen und die Ergebnisse auszuwerten. Dem Stadtrat soll spätestens in
der Novembersitzung ein detaillierter Bericht mit Evaluation der unter Ziffer I
beschlossenen Nachtzeitverschiebung vorgelegt werden.
4. Die Verwaltung wird beauftragt, die
Änderung des Bebauungsplans 001 zur Entwicklung des Gebiets zu einem urbanen
Mischgebiet voranzutreiben.
5. Die Verwaltung wird beauftragt, den Kläger
des Verfahrens 22 BV 13.1686 sowie den Kläger des ruhenden Verfahrens AN 4 K
14.00540 binnen drei Monaten nach Eingang des Urteils des
Verwaltungsgerichtshofs schriftlich zu verbescheiden. Dabei soll insbesondere
auf die Messkampagne und Evaluierung hingewiesen werden.
Begründung: Der Verwaltungsgerichtshof hat der Stadt keine Frist gesetzt,
innerhalb derer sie den Kläger zu verbescheiden hat. Nach Auffassung des
Rechtsreferats ist es sachgerecht, hier die Dreimonatsfrist des § 75 VwGO
entsprechend heranzuziehen, die ein Kläger grundsätzlich abwarten soll, bevor
er bei Untätigkeit der Behörde Klage erhebt.
6. Die Verwaltung wird beauftragt, die für die
Gaststätten im Bereich gemäß Ziffer I geltenden Baugenehmigungen,
Gaststättenerlaubnisse und Sondernutzungserlaubnisse auf Widersprüche hin zu
untersuchen und diese durch Anpassung der Genehmigungen aufzulösen.
Begründung: Der Verwaltungsgerichtshof betont, dass sowohl die Privilegierung
des Raucherlärms als auch die Nachtzeitregelung für die Wochenenden für
„bauplanungsrechtlich unzulässige“ bzw. „nicht durch eine Baugenehmigung
legalisierte“ Gaststätten nicht gelten. Der Kläger hat dies bereits auf
so gut wie alle Freischankflächen bezogen, die seiner Meinung nach unzulässige
Erweiterungen der Gaststätten darstellen. Aus Sicht der Stadt kann sich diese
Voraussetzung nur auf die Innenräume der Gaststätten beziehen, da die Raucher
aus diesen kommen, und auf die einzige baugenehmigungspflichtige Freischankfläche.
Die Stadt geht davon aus, dass diese Problematik durch detailliertere
Abstimmung der Regelungen gelöst werden kann.
V. Der Stadtrat appelliert an die Wirte und an
die für den Erhalt der Gustavstraße engagierten Bürger, die Nachtruhe von 23
bis 7 Uhr vor Samstagen und Sonn- und Feiertagen strikt einzuhalten. Sie sollen
auf die Gäste positiv einwirken und zu rechts- und anwohnerfreundlichem
Verhalten anhalten. Der Stadtrat bittet alle Beteiligten, von Protesten
gegenüber dem Hauptkläger sowie weiteren Klägern abzusehen.
VI. Betreffend die Veranstaltungen bleibt es bei dem
Veranstaltungskonzept gemäß Beschluss vom 29.07. 2015 mit der Maßgabe, dass bei
beiden Graffllmärkten die Innen- und die Außensperrzeit auf 24 Uhr festgesetzt wird.
Begründung: Angesichts der Rechtslage sollte die Stadt bei den Veranstaltungen
auf der „sicheren Seite“ bleiben, auch um Rechtsstreite in letzter Minute 2016
zu vermeiden. der Verwaltungsgerichtshof hat 2015 signalisiert, dass die eine
verbliebene „sehr seltene“ Veranstaltung mit einer Öffnungszeit bis 24 Uhr
innen und außen akzeptiert werden kann.
Finanzierung:
Finanzielle
Auswirkungen |
jährliche
Folgelasten |
|||||||||||||||||
|
|
nein |
|
ja |
Gesamtkosten |
€ |
|
nein |
|
ja |
€ |
|||||||
Veranschlagung
im Haushalt |
||||||||||||||||||
|
|
nein |
|
ja |
Hst.
|
Budget-Nr. |
im |
|
Vwhh |
|
Vmhh |
|||||||
wenn
nein, Deckungsvorschlag: |
||||||||||||||||||
Anlagen 1, 2, 3, 4a, 4b