Der Stadtrat entscheidet bei jedem Projekt, ob es eine Öffentlichkeitsbeteiligung gibt oder nicht. Wenn ja, werden dafür Mittel bereitgestellt.
Der Nachhaltigkeitsbeirat
der Stadt Fürth hat
bei seiner Sitzung am 7. April 2022 folgende Empfehlung an den Stadtrat bei 17
anwesenden, stimmberechtigten Mitgliedern einstimmig ohne Enthaltungen
beschlossen:
Seit den 1970er Jahren gibt es in der Bundesrepublik
vermehrt Anstrengungen, die Basis der kommunalen Bürger:innenbeteiligung (wir
sprechen lieber von Öffentlichkeitsbeteiligung, weil damit alle Menschen, die
in Fürth leben, angesprochen sind) zu verbreitern. Insbesondere die vielen
lokalen Agenda-21 Prozesse in Bayern Mitte der 1990er Jahre haben für einen
Schub gesorgt.
Viele dieser Beteiligungsprozesse haben zu einer aktiveren
lokalen Demokratie, einer besseren Umsetzung vielfältiger Ideen und einer höheren
Akzeptanz politischer Entscheidungen beigetragen. Es gibt aber auch
Beteiligungsprozesse, die politische Gräben vertieft haben, z.B. zwischen
gewählten Vertreter:innen und bürgerschaftlichen Interessengruppen.
Demokratie kann heute nicht allein im Vorgang der Wahl und
respektvoll abgefasster Briefe an politisch Verantwortliche bestehen, wie es
noch Ludwig Erhard in seinem Buch „Wohlstand für alle“ beschrieben hat. Es gibt
viele Interessengruppen, die sich Gehör verschaffen wollen. Zu einem gemeinsamen
Konsens oder zumindest einer stabilen, konstruktiven Mehrheit zu kommen, ist
das wesentliche Ziel deliberativer Meinungsbildungs- und Diskussionsprozesse.
Um in einer Zeit, in der unser
demokratisches Staatswesen durch viele, oft widerstreitende Einzelinteressen
herausgefordert ist, Konsens zu ermöglichen, müssen Formate, Rollen, Haltungen,
Regeln und Methoden der Beteiligung genau beschrieben und eingehalten werden.
Formate:
Zu unterscheiden ist nach dem Grad
der Verbindlichkeit zwischen informellen und formellen Beteiligungsprozessen.
Formelle Beteiligungen sind Verfahren, die gesetzlich verankert sind (z.B.
Baugesetzbuch, Bürgerentscheide). Informelle Beteiligungen sind z.B.
Bürgerversammlungen, Bürgerbefragungen, Runde Tische, Stadtteilforen oder initiierende
bzw. anlassbezogene Öffentlichkeitsbeteiligung bei bestimmten Vorhaben (etwa
Feuerwache, Lokschuppen, Hornschuchpromenade). Um diese geht es im Folgenden.
Rollen:
- Klar
in jedem informellen Beteiligungsprozess muss sein, dass die gewählten Vertreter:innen
letztlich die Entscheidungshoheit haben und die Verantwortung tragen. Umgekehrt
haben sie die Selbstverpflichtung, ihre Entscheidung öffentlich zu begründen,
um Verantwortung zu zeigen und Frustrationen zu begegnen.
-
Verschiedene vom Stadtrat eingesetzte Gremien und Beauftragte begleiten
Stadtpolitik dauerhaft: Vom Seniorenbeirat bis zum Jugendparlament, die vor
allem Empfehlungen aussprechen können, aber auch bei sie direkt betreffenden
Themen Anhörungsrechte haben.
-
Hinzu kommen Initiativen und Bewegungen aus der Bürgerschaft, die ein
bestimmtes Problem benennen, ein Anliegen aufgreifen oder Impulse setzen und
öffentlich machen.
- Neben diesen politischen
Gremien, Foren und Interessensgruppen spielen zunehmend zufällig
zusammengestellte Bürger:innenräte eine Rolle bei der
Öffentlichkeitsbeteiligung.
Haltungen:
In
Zeiten von Hatespeech müssen wir klar machen, dass jeder Beteiligungsprozess
bestimmte Haltungen erfordert, wenn er konstruktiv sein soll:
- Gegenseitiger Respekt
gegenüber den Rollen, insbesondere der Letztentscheidung durch die gewählten
Vertreter:innen.
- Wille zur Partizipation, nicht (nur) zur Durchsetzung privater Interessen, sondern vor allem zur Beachtung des Gemeinwohls.
- Eine einladende, transparente und responsive Haltung seitens der gewählten politischen Vertretungen und der Verwaltung gegenüber den engagierten Bürger:innen.
Regeln:
Gelungene Beteiligungsprozesse müssen verschiedene Voraussetzungen berücksichtigen
- Öffentlichkeitsbeteiligungen sind dann besonders wirksam, wenn sie umsichtig in einem frühen Planungsstadium integriert werden.
- Beteiligung an der Öffentlichkeit für alle. Es darf keine Barrieren, etwa durch soziale Ungleichheit geben, die Gruppen ausschließen.
- Rede- und Meinungsfreiheit muss garantiert sein.
- Klarheit und Transparenz muss darüber bestehen, welche Kompetenzen und Begrenzungen das jeweilige Beteiligungsgremium hat.
- Alle Teilnehmenden müssen prinzipiell gleiche Chancen haben, sich in den Diskurs einzubringen.
- Eine verlässliche Informationsbasis muss vorhanden sein, die eine sachgerechte Beurteilung der Tatbestände garantieren kann, um eine unabhängige Meinungsbildung zu ermöglichen.
- Öffentliche Vorschläge können von politisch Verantwortlichen qualifiziert wahrgenommen und bewertet werden und ihre Entscheidungen beeinflussen.
Methoden:
Es gibt sehr viele erprobte Formate der Öffentlichkeitsbeteiligung - online und in Präsens, analog und digital. Ein professionelles Beteiligungsmanagement soll dazu beitragen, geeignete Beteiligungsmethoden, z.B. Zukunftswerkstätten, Open Space, World-Cafés, Kurzzeitexperimente, zusammenzustellen und umzusetzen. (Siehe hierzu Bertelmann-Stiftung (Hrsg.) Wegweiser Bürgerbeteiligung. Argumente – Methoden – Praxisbeispiele. www.bertelsmann-stiftung.de/fileadmin/files/Projekte/Vielfaeltige_Demokratie_gestalten/Wegweiser_breite_Beteiligung_FINAL.pdf )
Was muss noch berücksichtigt werden?
Es gibt, gerade was das Thema Nachhaltigkeit betrifft, mögliche Interessen, die sich nicht selbst in einem Beteiligungsprozess artikulieren können, aber im Sinne des Gemeinwohls und der Nachhaltigkeit berücksichtigt werden müssen:
- Interessen der kommenden Generationen (siehe Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutz. Az.: u.a. 1 BvR 2656/18)
- „Interessen der Natur“ (Vorgaben des Naturschutzes und der Biodiversität)
- Globale Auswirkungen (z.B. Lieferkettengesetz)
Diese Interessen könnten z.B. durch Fachexpert:innen oder eine Anwaltschaft im Beteiligungsprozess Gehör finden.
Empfehlungen
zu Öffentlichkeitsbeteiligung:
-
Ziel muss sein, eine
selbstverständliche Beteiligungskultur zu etablieren. Das bedeutet, dass
Einzelaktivitäten in einem "Mehrfachdialog" von Politik, Verwaltung
und Zivilgesellschaft strategisch und nachhaltig aufeinander bezogen werden und
sich nicht nur auf einzelne Aspekte richten. Diese Beteiligungskultur muss als
Prozess verlässlich budgetiert werden.
-
Einrichtung eines professionellen
Beteiligungsmanagements, angesiedelt bei der Stadtspitze, das immer dort
eingeschaltet wird, wo Beteiligungsprozesse umgesetzt werden sollen, um diese
fachgerecht zu beraten und zu begleiten;
-
Maßnahmenplanung inklusive anlassbezogener
Öffentlichkeitsbeteiligung ist im Kontext anlassfrei erarbeiteter Zielkonzepte
einzuordnen;
-
Sicherstellung einer professionellen,
unabhängigen Moderation von Beteiligungsverfahren mit dem Ziel, zu einem von
möglichst allen getragenen Konsens zu finden und die Ergebnisse konstruktiv in
den politischen Entscheidungsprozess einzubringen;
- Bereitstellung
eines Bürgerbeteiligungs-Budgets, das die Umsetzung der konsentierten Maßnahmen
unterstützt (u.a. um flexibel und ohne großen Verwaltungsaufwand Beteiligungsprojekte
auf den Weg zu bringen).
Der Ältestenrat hat am 19.10.2022 die Empfehlung vorberaten und den Beschlussvorschlag entwickelt.
Finanzierung:
Finanzielle
Auswirkungen |
jährliche
Folgelasten |
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nein |
x |
ja |
Gesamtkosten |
offen € |
x |
nein |
|
ja |
offen € |
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Veranschlagung
im Haushalt |
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x |
nein |
|
ja |
Hst.
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Budget-Nr. |
im |
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Vwhh |
|
Vmhh |
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wenn
nein, Deckungsvorschlag: Kosten entstehen erst, wenn einzelne Anträge zur
Öffentlichkeitsbeteiligung gestellt werden. Deshalb sind sie hier nicht
quantifizierbar. |
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Empfehlung des Nachhaltigkeitsbeirats „Öffentlichkeitsbeteiligung“
Ökologische Auswirkungen