Betreff
Vorlage zu den Anträgen der SPD-Stadtratsfraktion vom 15.03.2022 - Armutsbericht als Grundlage zur Umsetzung des nachhaltigen Entwicklungsziels und von der Stadtratsfraktion Bündnis 90/Die Grünen vom 16.03.2022 - Weiterschreibung des Armutsberichts
Vorlage
SzA/0237/2022
Art
Beschlussvorlage - SB

Der Beirat für Sozialhilfe, Sozial- und Seniorenangelegenheiten nimmt die Ausführungen des Referates für Jugend, Soziales und Kultur zu den Anträgen der Stadtratsfraktion der SPD und der Stadtratsfraktion BÜNDNIS‘90/DIE GRÜNEN, einen Armutsbericht zu erstellen, zur Kenntnis.

 

Die Sozialverwaltung wird beauftragt, als Grundlage zur Umsetzung des nachhaltigen Entwicklungsziels Nr. 1 der Agenda 2030 (Armut beenden) einen Bericht zu erstellen, in dem neben der in der Stadt Fürth statistisch nachweisbaren Armut auch die bestehenden Maßnahmen sowie unter Berücksichtigung der von der Bundesregierung entwickelten und 2021 fortgeschriebenen Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie auch die wichtigsten Rahmenbedingungen zu einer realistischen Verwirklichung des nachhaltigen Entwicklungsziels Nr.1 (Armut beenden) genannt werden, da es nicht einfach um punktuelle Maßnahmen, sondern um ein strategisches Ziel geht, zu dessen Umsetzung als messbare Indikatoren nachhaltige strukturelle Maßnahmen wie eine positive Entwicklung der Wirtschaft und des Arbeitsmarktes, die Sicherstellung der kommunalen Finanzen und die Anhebung des Bildungs- und Qualifikationsniveaus erforderlich sind.


Mit Schreiben an Herrn Oberbürgermeister Dr. Jung vom 16.03.2022 stellte die Stadtratsfraktion BÜNDNIS‘90/DIE GRÜNEN für die Sitzung des BSS am 23.03.2022 den Antrag, den Armutsbericht der Stadt Fürth fortzuschreiben und aus der Fortschreibung so bald wie möglich messbare Ziele zur Bekämpfung der Armut in Fürth abzuleiten. Begründet wurde der Antrag damit, dass die Corona-Pandemie die Armutssituation eher noch zugespitzt als entspannt habe, was an den Berichten anderer Städte erkennbar sei.

 

Die Vermutung, dass die Corona-Pandemie die Armutssituation eher zugespitzt habe, trifft für das Gebiet der Stadt Fürth statistisch vorläufig nicht zu. Waren hier nach Einführung des SGB II bei 113.422 Einwohner/innen am 31.12.2005 noch 10.255 SGB-II-Empfänger/innen registriert worden (Bevölkerungsanteil 9,04 %), so waren es vor der Corona-Pandemie am 31.12.2019 bei 128.497 Einwohner/innen 8.411 SGB-II-Empfänger/innen (Bevölkerungsanteil 6,54 %). Dieser Stand konnte bislang auch während der Corona-Pandemie gehalten werden, da am 31.12.2020 bei 130.725 Einwohner/innen 8.230 SGB-II-Empfänger/innen (Bevölkerungsanteil 6,30 %) und am 31.10.2021 bei 131.235 Einwohner/innen 8.051 SGB-II-Empfänger/innen (Bevölkerungsanteil 6,14 %) gezählt wurden.

 

Gleichzeitig ist auch die Anzahl der Arbeitslosen - die in der Stadt Fürth zwischen 2005 und 2019 bei einem Anstieg der Bevölkerung von 113.422 auf 128.497 und damit um rund 15.000 Einwohner/innen von jahresdurchschnittlich 7.387 Personen 2005 auf jahresdurchschnittlich 3.644 Personen 2019 und damit um mehr als die Hälfte gesunken war - während der Corona-Pandemie mit jahresdurchschnittlich 4.354 Personen 2020 und jahresdurchschnittlich 4.253 Personen 2021 nicht sprunghaft gestiegen, da offensichtlich die von der Bunderegierung beschlossenen Sozialschutzpakete wie das höhere Kurzarbeitergeld sowohl Entlassungen weitgehend ausschließen als auch den Lebensstandard einigermaßen absichern und einen Massenabsturz in Armut verhindern konnten.

 

Bedeutsamer als die Vermutung, dass die Corona-Pandemie die Armutssituation eher zugespitzt habe, ist allerdings die im Antrag der Stadtratsfraktion BÜNDNIS‘90/DIE GRÜNEN enthaltene Forderung, so bald wie möglich messbare Ziele zur Bekämpfung der Armut in Fürth zu entwickeln, weil diese Ziele trotz der in den Jahren von 2005 bis 2014 vom Referat für Jugend, Soziales und Kultur veröffentlichten acht Armutsberichte bislang in der Stadt Fürth nicht existieren und eine solche Zielentwicklung schon in den Unterlagen zur Umsetzung des nachhaltigen Entwicklungsziels Nr.1 (Armut beenden) der Agenda 2030 - die der 2019 in der Stadt Fürth zusammen mit einem Nachhaltigkeitsbüro eingerichtete Nachhaltigkeitsbeirat zu seiner Sitzung am 20.10.2021 vorgelegt hatte - gefordert worden war.

 

Zur Orientierung sollte dabei die von der Bunderegierung am 10. März 2021 weiterentwickelte und mit der Bewältigung der Auswirkungen der Corona-Pandemie verknüpfte Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie herangezogen werden, mit der ein nachhaltiger Wachstumspfad und ein Schub für Modernisierung durch Innovation ausgelöst werden soll, zu dem am 12. Juni 2020 bereits ein mit 130 Mrd. € ausgestattetes Krisen- und Konjunkturprogramm beschlossen wurde, das auch ein Zukunftspaket über 50 Mrd. € zu einer Mobilitätswende, einer Energiewende und einem Erreichen der Klimaziele, zu Investitionen in Digitalisierung, zur Förderung von Bildung, Ausbildung und Forschung sowie zur Stärkung des Gesundheitswesens und des Schutzes vor Pandemien umfasst.[1] Diese Orientierung empfiehlt sich schon deshalb, weil die Kommunen verfassungsrechtlich kaum eigene Gestaltungskompetenzen haben, sondern bis auf wenige Ausnahmen nur für die Umsetzung des durch Gesetze und Verordnungen des Bundes und der Länder vorgegebenen rechtlichen Rahmens zuständig sind,[2] weshalb den Kommunen vor Ort ohne gesetzliche Festlegungen des Bundes, welche der im September 2015 von den Vereinten Nationen beschlossenen und völkerrechtlich nicht verbindlichen 17 nachhaltigen Entwicklungsziele der Agenda 2030 in der Bundesrepublik mit welchen Maßnahmen und Finanzmitteln verfolgt werden sollen, schlichtweg die Rechtsgrundlagen und die erforderlichen Finanzzuschüsse für eine Umsetzung der nachhaltigen Entwicklungsziele der Agenda 2030 fehlen werden.[3]

 

Zum nachhaltigen Entwicklungsziel Nr. 1 (Armut beenden) äußerte die Bundesregierung in einem freiwilligen Staatenbericht, der im Juni 2021 an das 2017 zur Umsetzung der Agenda 2030 von den Vereinten Nationen in New York eingerichtete Hochrangige Politische Forum (HLPF) geschickt worden war, dass in Deutschland das Sozialstaatsprinzip verfassungsrechtlich verankert sei und der Fokus der Politik der Bundesregierung neben der verfassungsmäßig garantierten Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums in der Stärkung der finanziellen Situation von Personen mit geringem Einkommen liege. Außerdem verfolge die Bundesregierung bei der Bekämpfung der Armut in Deutschland einen präventiven Ansatz mit dem Ziel, einen hohen Beschäftigungsstand bei auskömmlichen Löhnen zu erreichen, weshalb

 

-      mit dem Qualifizierungschancengesetz die Qualifikation der Beschäftigten durch Maßnahmen in den Betrieben den aus dem Strukturwandel resultierenden neuen Anforderungen angepasst werden können, bevor durch zu geringe Qualifikationen Arbeitslosigkeit entstehe;

-      mit der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns im Jahr 2015 und dessen kontinuierlicher Anpassung die Einkommenssituation von rund vier Millionen Personen, darunter überproportional weibliche Beschäftigte, im Niedriglohnsektor verbessert werden konnte;

-      mit einer Neugestaltung des Kinderzuschlags durch das Starke-Familien-Gesetz in den Jahren 2019 und 2020 Familien mit kleinen Kindern entlastet werden konnten;

-      mit der Anerkennung eines höheren Bedarfs für Schulbedarf und für die Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben, dem Wegfall des Eigenanteils beim gemeinschaftlichen Mittagessen in Schulen, Kindertagesstätten und Kindertagespflege sowie einer Lernförderung unabhängig von einer Versetzungsgefährdung das Bildungs- und Teilhabepaket 2019 verbessert worden sei.[4]

 

Bereits einen Tag vor dem Antrag der Stadtratsfraktion BÜNDNIS‘90/DIE GRÜNEN hatte die Stadtratsfraktion der SPD mit Schreiben an Herrn Oberbürgermeister Dr. Jung vom 15.03.2022 und bezugnehmend auf die in der Sitzung des Nachhaltigkeitsbeirates am 20.10.2021 für eine Umsetzung des nachhaltigen Entwicklungsziels Nr.1 der Agenda 2030 (Armut beenden) vorgelegten Unterlagen und die darin enthaltene Forderung, einen Armutsbericht zu erstellen, in dem messbare Ziele und Zeiträume zur Verringerung der Armut in Fürth genannt werden, für die Sitzung des BSS am 23.03.2022 den Antrag gestellt, als Grundlage zur Umsetzung des nachhaltigen Entwicklungsziels Nr. 1 der Agenda 2030 (Armut beenden) einen Bericht durch die Sozialverwaltung erstellen zu lassen, in dem neben der in der Stadt Fürth statistisch nachweisbaren Armut auch die bestehenden Maßnahmen sowie unter Berücksichtigung der von der Bundesregierung entwickelten und 2021 fortgeschriebenen Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie die wichtigsten Rahmenbedingungen zu einer realistischen Verwirklichung des nachhaltigen Entwicklungsziels Nr.1 (Armut beenden) genannt werden, da es nicht einfach um punktuelle Maßnahmen, sondern um ein strategisches Ziel gehe, zu dessen Umsetzung als messbare Indikatoren nachhaltige strukturelle Maßnahmen wie eine positive Entwicklung der Wirtschaft und des Arbeitsmarktes, die Sicherstellung der kommunalen Finanzen und die Anhebung des Bildungs- und Qualifikationsniveaus erforderlich sind, weil negative wirtschaftliche Entwicklungen und die damit verbundene konjunkturelle oder strukturelle Arbeitslosigkeit schon immer zu den Hauptursachen von Armut zählten.

 

Aus Sicht der Sozialverwaltung wird die Erstellung eines solchen Berichtes nicht nur aus personellen Gründen, sondern auch aufgrund der mit der Corona-Pandemie und der am 24. Februar 2022 begonnenen, völkerrechtswidrigen und dem nachhaltigen Entwicklungsziel Nr.16 (Frieden) der von den Vereinten Nationen im September 2015 beschlossenen Agenda 2030 fundamental widersprechenden militärischen Aggression Russlands gegen die Ukraine nicht auszuschließenden wirtschaftlichen und sozialen Verwerfungen etwas Zeit in Anspruch nehmen, da diese statistisch frühestens bis Ende 2022 sichtbar und bis Mitte 2023 auch öffentlich zugänglich sein werden. Gleichwohl kann bei einem Grundlagenbericht zur Umsetzung des nachhaltigen Entwicklungsziels Nr. 1 der Agenda 2030 (Armut beenden) davon ausgegangen werden, dass dieser als messbare Ziele ein hohes Beschäftigungsniveau, auskömmliche Erwerbseinkommen und eine möglichst geringe Verbreitung existenzsichernder sozialer Grundsicherungsleistungen enthalten wird. Die Verwendung weiterer messbarer Zielindikatoren wie beispielsweise die Nettohaushaltseinkommensverteilung wird für das Gebiet der Stadt Fürth im Gegensatz zur Bundes- und Landesebene oder zu Gebietskörperschaften mit mehr als 500.000 Einwohner/innen nicht möglich oder nur durch Haushaltsbefragungen ermittelbar sein, weil es für das Gebiet der Stadt Fürth wegen der zu geringen Gebietsgröße keine eigenständigen Angaben des Mikrozensus und auch keine Ergebnisse kommunaler Haushaltsbefragungen gibt, wie sie beispielsweise in der Stadt Nürnberg trotz der Ausweisung als eigenständiges Mikrozensusgebiet seit 1985 in regelmäßigen Abständen ergänzend durchgeführt werden.

 



[1] Vgl.: Die Bundesregierung (Hrsg.), Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie. Weiterentwicklung 2021 – Kurzfassung, 36 Seiten, hier: S.8.

[2] Dies betrifft zum Beispiel bei den Themen, die in den zur Sitzung des Nachhaltigkeitsbeirats am 20.10.2021 vorgelegten Unterlagen angesprochen wurden, vor allem die Regelungen zum SGB II und zum SGB XII, zur Mietpreisbremse, zur Förderung des sozialen Wohnungsbaus und zur Höhe des gesetzlichen Mindestlohns. Eigeständig ist in diesen Bereichen die Stadt Fürth lediglich auf dem Gebiet der Festlegung der angemessenen Kosten der Unterkunft tätig, die nach dem SGB II und dem SGB XII wegen der bundes- und landesweit höchst unterschiedlichen Mietkosten per Bundesgesetz den Kommunen zugewiesen wurde und die vor Ort seit 2014 durch alle zwei Jahre stattfindende Erhebungen zu einem qualifizierten Mietspiegel und zu den Kosten der Unterkunft gemäß den Vorgaben des Bundessozialgerichts empirisch ermittelt werden. Zugleich sind in der Bundesrepublik aufgrund der Tarifhoheit für eine über die Armutsvermeidung hinausgehende Lebensstandardsicherung während der Erwerbsphase und im Alter primär die Gewerkschaften und die Arbeitgeberverbände zuständig.

[3] In diesem Zusammenhang läuft beispielweise das im Dezember 2021 vom Stadtrat verabschiedete kommunale Klimaschutzkonzept schon deshalb nicht ins Leere, weil es an den Zielen und Maßnahmen des am 12. Juni 2020 von der Bundesregierung beschlossenen und mit 130 Mrd. € ausgestatteten Krisen- und Konjunkturprogramms inklusive Zukunftspaket orientiert ist.

[4]Vgl.: Die Bundesregierung (Hrsg.), Bericht zur Umsetzung der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung, Freiwilliger Staatenbericht Deutschlands zur HLPF in New York 2021, Berlin 2021, S.32.


Finanzierung:

 

Finanzielle Auswirkungen

jährliche Folgelasten

 

 

nein

 

ja

Gesamtkosten

     

 

nein

 

ja

     

Veranschlagung im Haushalt

 

 

nein

 

ja

Hst.      

Budget-Nr.      

im

 

Vwhh

 

Vmhh

wenn nein, Deckungsvorschlag: