Betreff
SGB VIII-Reform: Das Kinder- und Jugendstärkungsgesetz und seine Auswirkungen auf die Bereiche des Amtes für Kinder, Jugendliche und Familien
Vorlage
JgA/0600/2022
Art
Beschlussvorlage - SB

1.    Der Ausschuss nimmt den aktuellen Sachstandsbericht zu den rechtlichen Änderungen in der Kinder -und Jugendhilfe zur Kenntnis.

 

2.    Das Amt für Kinder, Jugendliche und Familien wird zum Reformprozess regelmäßig berichten.

 


Im Jahr 2021 haben sich wichtige Gesetzesänderungen im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe ergeben. Das Vormundschaftsrecht wurde in einigen Bereichen reformiert und tritt zum 01.01.2023 in Kraft. Die umfangreichsten Änderungen wurden in der Reform des SGB VIII in Gestalt des Kinder- und Jugendstärkungsgesetzes (KJSG) vorgenommen, welches am 10.06.2021 in Kraft trat. Nach einem jahrelangen Diskussions- und Beteiligungsprozess gelang es noch in der vergangenen Legislaturperiode des Bundestags zu einem konsensfähigen Gesetz zu kommen.

 

Zentrales Anliegen der Reform ist es, die Leistungen an Kinder und Jugendliche entsprechend den Leitgedanken der UN-Behindertenrechtskonvention inklusiv unter der Verantwortung eines öffentlichen Leistungsträgers zusammenzuführen.

 

Die Auswirkungen auf die Bereiche des Amtes für Kinder Jugendliche und Familie werden im Folgenden vorgestellt:

 

 

 



 

 

1.    Hilfe aus einer Hand 

Von weitreichender Bedeutung sind die vorgesehenen Veränderungen für Kinder und Jugendlichen mit Behinderung.

Im Gesetz ist die sogenannte „Große Lösung“ verankert. Diese sieht eine einheitliche sachliche Zuständigkeit für alle Kinder und Jugendlichen vor (und zwar unabhängig von der jeweiligen Behinderungsform).  Dieses Gesetz soll vollständig umgesetzt werden im Rahmen eines Stufenmodells bis zum Jahr 2028.

 

Dieser Paradigmenwechsel durchdringt das gesamte SGB VIII und zieht sich wie ein roter Faden durch. Von § 1, in dem die Erziehungsziele der Kinder und Jugendhilfe um die gleichberechtigte Teilhabe ergänzt werden, bis hin zum § 80, bei dem die gemeinsame Förderung von allen Kindern und Jugendlichen sowie die Berücksichtigung spezifischer Bedürfnisse von jungen Menschen mit Behinderungen als Maßstab für die Jugendhilfeplanung aufgenommen wurde.

 

Die erste Stufe des Stufenmodells: Stärkung der Inklusion

Bei der ersten Stufe werden bereits die Ziele (siehe § 1) und der Rahmen abgesteckt.

 

§  So wurde z.B. im § 7 der Behindertenbegriff in Übereinstimmung mit der UN-Behindertenrechtskonvention angepasst und das Merkmal der Wechselwirkung mit Umwelteinflüssen aufgenommen. Die Definition von Menschen mit Behinderung wird somit erweitert um den Fokus auf die umweltbedingten Barrieren, die eine gleichberechtigte Teilhabe an der Gesellschaft erschweren oder verhindern.

§  Sowohl bei der Jugendarbeit (§ 11) als auch bei der Kindertagesbetreuung (§ 22) wird ein deutlicher Akzent auf die Stärkung der Inklusion gesetzt – wobei bei Letzterem die Kindertagespflege ausgenommen wurde:

o   die Zugänglichkeit und Nutzbarkeit der Angebote der Jugendarbeit für junge Menschen mit Behinderung sollen sichergestellt werden,

o   während bei der Kindertagesbetreuung die Pflicht zur Berücksichtigung besonderer Bedürfnisse hinzugekommen ist.

§  Bei der Qualitätsentwicklung in der Kinder- und Jugendhilfe (§ 79a) sowie konkret bei den Qualitätsvereinbarungen mit Leistungserbringern (§ 77) wird deutlich gemacht, dass zu den zu berücksichtigenden Qualitätsmerkmalen sowohl die inklusive Ausrichtung der Aufgabenwahrnehmung als auch die Berücksichtigung der spezifischen Bedürfnisse junger Menschen mit Behinderung gehören.

1.2  Die zweite Stufe: Verfahrenslotsen

Ab dem Jahr 2024 soll die Funktion eines Verfahrenslotsen eingeführt werden. Diese haben zwei Hauptaufgaben:

·         Beratung von leistungsberechtigten jungen Menschen und ihren Familien zu den Leistungen der Eingliederungshilfe und Begleitung durch das Verfahren.

·         Unterstützung des örtlichen öffentlichen Trägers der Jugendhilfe bei der Zusammenführung der Zuständigkeiten – hierbei ist noch die Verortung des Verfahrenslotsen zu klären, wobei im Hinblick auf die dritte Umsetzungsstufe eine Verortung im Jugendamt naheliegend erscheint.

1.3  Die dritte Stufe: sachliche Zuständigkeit der Kinder- und Jugendhilfe für alle Kinder

Ab dem Jahr 2028 sollen dann Leistungen für junge Menschen mit körperlichen oder geistigen Behinderungen vorrangig vom Träger der öffentlichen Jugendhilfe gewährt werden. Es handelt sich bei diesem Themenbereich der SGB VIII-Reform gewiss um die größte Herausforderung, da viele Fragen dieses Systemwechsels noch zu bearbeiten sind und ein breiter Dialogprozess zwischen der Jugend- und Behindertenhilfe (Bezirk) hierbei notwendig sein wird.

 

 

Ab dem Jahr 01.01.2028 sind also demnach Leistungen für alle jungen Menschen (auch mit jeder Art von Behinderung) vorrangig vom Träger der öffentlichen Jugendhilfe zu erbringen („Hilfe aus einer Hand“). Ein weiteres Bundesgesetz soll spätestens 2026 hierzu das Nähere (Art und Umfang der Hilfen, Kostenbeteiligungen u.a.) regeln.


2. Umfang des zu reformierenden Bereichs:

Das Jugendamt ist bisher zuständig für ca. 150 Eingliederungsfälle (junge Menschen mit seelischer Behinderung). Daran arbeiten bisher 3 Mitarbeiter*innen des Bezirkssozialdienstes (2 VzÄ) und 1 Person in der Wirtschaftlichen Jugendhilfe (1 VzÄ). Für diese Eingliederungshilfen werden jährlich ca. 1,3 Millionen Euro ausgegeben.

 

Es wird erwartet, dass ca. 600 Fälle aus der Zuständigkeit des Bezirks bis 01.01.2028 vom Jugendamt übernommen werden müssen. Dafür werden erhebliche aber noch nicht bezifferbare zusätzliche Personalressourcen, u. a. beim Bezirkssozialdienst, der Wirtschaftlichen Jugendhilfe und im Overhead- und Backoffice-Bereich (Führung und Verwaltung) erforderlich sein. Erst im Laufe der Umstrukturierung wird der Bedarf genau zu bemessen sein.
Das gleiche trifft auf die (Sach-)Ausgaben für Eingliederungsleistungen zu.



3.  Zur Ergänzung hier noch die weiteren Komponenten der anstehenden Reform:

·         Schutzkonzepte im Pflegekinderwesen und in Kindertageseinrichtungen

…dienen der Prävention, Intervention und Aufarbeitung jeglicher Grenzüberschreitung, Gewalt und sexualisierten Übergriffen gegenüber Kindern und Jugendlichen.
Das Jugendamt hat sie künftig in vielen zusätzlichen Bereichen zu gewährleisten, wobei die notwendigen Standards einen erheblichen Zusatzaufwand darstellen werden.

 

·         Junge Volljährige und „Careleaver“

Auch hier sieht das KJSG verschiedene Erweiterungen vor (Verbindlichkeit der Hilfe, Übergangsplanung, Nachbetreuung, Verbesserung der Regelungen zur Kostenbeteiligung im Sinne der jungen Menschen etc., Erhöhung des Verpflichtungsgrades der Norm für junge Volljährige, Aufnahme einer ausdrücklichen „Coming-Back-Option“, verbindliche Übergangsplanung, Pflicht zur Nachbetreuung mit div. zusätzlichen Aufgaben.

·         Änderungen bei der Kostenheranziehung durch das KJSG

Enthalten einige Neuerungen zu Gunsten der Hilfeempfänger:
- aus eigenem Einkommen nur noch 25 % anstatt 75 % als Kostenbeitrag
- Freibetrag von 150 € monatlich
- Kostenheranziehung aus Vermögen nur noch bei Maßnahmen nach § 19 SGB VIII.

·         Verfahren zur Personalbemessung:

In § 79 Abs. 3 heißt es: Zur Planung und Bereitstellung einer bedarfsgerechten Personalausstattung ist ein Verfahren zur Personalbemessung zu nutzen. In Teilbereichen des Jugendamtes Fürth wurde das Verfahren PEB (INSO) bereits mit Erfolg eingeführt.

 

·         Ausweitung von Beratung und Beteiligung, Stärkung von Rechten junger Menschen und Familien:

Beratungs- und Beteiligungspflichten wurden deutlich erweitert und geschärft; die Beteiligung „selbstorganisierter Zusammenschlüsse“ explizit vorgesehen.
Nach § 9a SGB VIII ist weiterhin die Einrichtung einer unabhängigen Ombudsstelle zur Überprüfung der Tätigkeiten der Jugendhilfe (in Bayern bisher nur in wenigen Modellstandorten realisiert) als Aufgabe für die nächsten Jahre zu erwarten.

 

 

 

Fazit:

 

Bisher wurden in Bayern die Leistungen für junge Menschen mit Behinderungen von den Bezirken und von den Jugendämtern erbracht. Diese Zuständigkeitsunterscheidung führte in der Vergangenheit zu unterschiedlichen Qualitäten und Ansätzen in der Hilfegewährung sowie zu Unschärfen in Zuständigkeitsfragen. Diese Unterscheidung wird über die neue Gesetzgebung im KJSG schrittweise verändert.

 

Ab Inkrafttreten des Gesetzes ist die inklusive Ausgestaltung der Leistungen der Kinder und Jugendhilfe vorgesehen. Als 2. Stufe werden ab 2024 Verfahrenslotsen in den Jugendämtern eingeführt, die als verbindliche Ansprechpersonen für Eltern und junge Menschen das gesamte Verfahren begleiten. Bis zum Jahr 2028 ist im aktuellen Gesetz eine Zusammenführung unter dem Dach der Jugendhilfe vorgesehen. Voraussetzung für die Festlegungen und Umsetzung ist dabei ein weiteres Gesetz zur Zusammenführung der Leistungsbereiche (Art, Umfang, Personenkreis etc.). Dieses Gesetz muss lt. Gesetzgeber erst bis 01.01.2027 beschlossen werden, damit die Zusammenführung 2028 vollzogen werden kann.

 

Die dargestellten Änderungen des KJSG werden zu einem erweiterten Qualifizierungsbedarf der Mitarbeitenden sowie zwingend auch zu einem erhöhten Stellenumfang führen.

 

 

Kosten:


Die unmittelbaren finanziellen Auswirkungen können aufgrund des noch nicht vorliegenden Ausführungsgesetzes nicht benannt werden.

 

 

 

 


Finanzierung:

 

Finanzielle Auswirkungen

jährliche Folgelasten

 

x

nein

 

ja

Gesamtkosten

     

 

nein

 

ja

     

Veranschlagung im Haushalt

 

 

nein

 

ja

Hst.      

Budget-Nr.      

im

 

Vwhh

 

Vmhh

wenn nein, Deckungsvorschlag: